Kapitel 12

12. Gork gibt sich zu erkennen


Knollennase war am nächsten Morgen als erster erwacht. Es war noch sehr kalt und so machte er sich daran die Glut des Lagerfeuers neu zu entfachen. Er stellte fest, dass das verbliebene Feuerholz nicht mehr lange reichen würde. Also musste er später losgehen um neues zu suchen. Nach einer Weile knisterte Feuer unter dem Holz, das Knollennase über der Glut aufgeschichtet hatte. Er stellte einen mit Wasser gefüllten Topf, der an einem Dreibein befestigt war über das Feuer und pfiff eine lustige Melodie.

Nun war auch Munkelpietz erwacht. Er reckte und streckte sich unter seiner warmen Decke.

,,Guten Morgen Knollennase,“ rief er dem Zwerg zu.

,,Morgen,“ antwortete Knollennase.

Das Wasser würde noch eine Weile brauchen bis es kochte, also entschloss er sich nun mit der Suche nach neuem Feuerholz zu beginnen. Er blickte sich um und sah in der Ferne einige Bäume. Hier war bestimmt etwas Bruchholz zu finden. Pfeifend und mit guter Laune machte er sich auf den Weg. Munkelpietz war inzwischen auch aufgestanden und schaute nach den Eseln. Die standen ganz friedlich in der Nähe. Da dem Wichtel ziemlich kalt war, beschloss er sich an das Feuer zu setzen.

Knollennase hatte inzwischen die Bäume erreicht, konnte aber kein geeignetes Holz für das Feuer entdecken. Als er schon aufgeben und zum Lager zurück gehen wollte, hörte er das laute Krächzen eines Vogels. Nun war er neugierig geworden, denn irgendetwas an dem Krächzen kam ihm sonderbar vor. Einige Meter vor ihm befand sich Dornengestrüpp, welches sehr dicht und verwachsen dort wucherte. Wieder vernahm er das sonderbare Krächzen, das wie das heisere Lachen eines alten Mannes klang. Vorsichtig näherte er sich dem Gestrüpp, aber er konnte nichts erkennen. So beschloss er um die Dornen herumzugehen, vielleicht konnte er von der anderen Seite mehr sehen. Langsam schlich er auf Zehenspitzen weiter, bis er die Quelle der sonderbaren Laute fand.

Das Blut gefror ihm in den Adern, denn vor sich auf dem steinigen Boden, hatte er einen Raben entdeckt. Einen alten, schwarzen Raben, der ihm wohlbekannt vorkam. In seinem Schnabel hielt er einen kleinen, ledernen Beutel und neben ihm im Sand lag ein weiterer Beutel, der geöffnet war. Einige Silberstücke waren über den Boden verteilt. Der Rabe hatte den Zwerg noch nicht bemerkt und begann wieder zu krächzen.

Knollennase war sich nun sicher, das der Rabe lachte.

Wahrscheinlich lachte er über ihn, Zwerg Knollennase und über seinen Gefährten Munkelpietz. Langsam bückte sich der Zwerg und nahm einen Stein vom Boden auf.

,,Wenn du schon hier bist elender Gork, dann sollst du auch ein kleines Andenken an uns erhalten,“ rief er mit lauter Stimme.

Er ging noch zwei Schritte auf den Raben zu und warf den Stein dann mit aller Wut und Kraft, die er hatte. Aber der Stein verfehlte den Vogel.

Der Rabe war völlig überrascht worden, von dieser Attacke des Zwerges. Er ließ den Lederbeutel, den er gerade noch im Schnabel gehalten hatte auf den Boden fallen. Knollennase hatte sich nun nach einem zweiten Stein gebückt.

,,Verschwinde, du elender, hässlicher Zauberer!“ schrie er auf.

Der Rabe schlug mit den Flügeln und blieb mit einer seiner beiden Schwingen im Dornengestrüpp hängen, dabei verletzte er sich und krächzte auf. Aber diesmal klang es nicht nach Lachen. Irgendwie gelang es ihm sich aus den Dornen zu befreien und er flatterte davon, ehe Knollennase den zweiten Stein nach ihm werfen konnte. Knollennase nahm geschwind die beiden Beutel an sich und rannte geschwind zurück zum Lager um den Wichtel zu warnen.

Aber es war zu spät. Gork stand am Feuer und hatte den Wichtel in seiner Gewalt. Er hatte sich wieder zum Zauberer verwandelt und war riesig groß. Seine Augen waren blutunterlaufen und sein Umhang war eingerissen. Wahrscheinlich war es genau die Stelle, wo der Rabe in den Dornen hängen geblieben war. Gork lachte höhnisch auf, als er Knollennase entdeckte und schraubte seine großen Hände um den Hals des Wichtelmännchens. Dem verging Hören und Sehen und als Gork ihn langsam in die Höhe hob, hatte er mit seinem Leben abgeschlossen.

,,Gib mir die beiden Beutel, oder ich werde deinen Wichtelfreund wie eine Zitrone zerquetschen,“ rief der Zauberer dem Zwerg zu.

Munkelpietz war schon ganz blau angelaufen, hilflos strampelten seine Beine in der Luft.

,,Gib mir den Elfenstaub und die Silberstücke,“ rief Gork wieder aus.

,,Das ist unser Ende!“ ging es Knollennase durch seinen Zwergenkopf.

Er warf die beiden Beutel vor sich in den Sand und kam sich hilflos wie nie zuvor in seinem Leben vor.

Gork warf nun den Wichtel zu Boden, wo er bewusstlos liegen blieb und kam auf Knollennase zu. Noch zwanzig Meter und er würde auch ihm den Garaus machen.

Knollennase überlegte sich ob er weglaufen sollte. Dann kann ihm ein anderer Gedanke. Er kramte in seinen Taschen und fand seine alte Steinschleuder, die er immer bei sich trug. Gork war nun noch fünfzehn Meter von ihm entfernt.
Knollennases Augen suchten den Boden ab und er erblickte tatsächlich einen Stein, der sich für seine Schleuder eignete. Er warf sich zu Boden und ergriff den Stein.

,,Ich muss ihn mit einem Schuss treffen.“

Gork war nun noch fünf Meter entfernt. Knollennase legte den Stein in die kleine Tasche der Schleuder und zog sie voll durch. Nun stand der Zauberer fast vor ihm. Knollennase ließ die Schleuder los und der Stein flog nach vorn.

,,Getroffen!“

Knollennase schrie auf vor Freude. Er hatte Gork genau an der Stirn getroffen und dieser war wie von einem Blitz gefällt, umgefallen. Ein klaffendes, blutendes Loch war zu sehen.

,,Hurra, das war ein Meisterschuss!“

Nun musste alles schnell gehen. Geschwind war Knollennase zu Munkelpietz geeilt. Er fühlte dessen Puls und vernahm ihn ganz schwach.

,,Gott sei Dank, mein Freund, du lebst!“

Aber der Wichtel kam nicht zu Bewusstsein, so sehr sich Knollennase auch mühte. So legte Knollennase den Wichtel auf einen der Esel, packte schnell alle Sachen zusammen, lud sie auf den anderen Esel und machte sich davon.

Stundenlang trieb er Topper und Schnellläufer an, die scheinbar müde wurden. Immer wieder blickte er sich angsterfüllt um. Munkelpietz war immer noch nicht aus der Bewusstlosigkeit erwacht und Knollennase befürchtete dass sein Freund die Nacht nicht überstehen würde. Weiter und weiter trieb es ihn und er vergaß wie sehr ihm die Füße wehtaten. Gegen Abend erreichten sie ein Vorgebirge. Es wurde immer steiniger und die Esel bekamen Probleme, auf dem Weg zu bleiben.

,,Es geht nicht mehr,“ rief Knollennase aus.

Er suchte ein Nachtquartier. Zwischen zwei hohen Felsen fand er einen geeigneten Platz. Dort bereitete der Zwerg ein weiches Lager für den Wichtel und bettete ihn darauf. Dann kümmerte er sich um die Esel. Er fütterte sie und gab ihnen auch ein wenig zu trinken, obwohl die Wasservorräte allmählich zu Ende gingen. Später widmete er sich wieder ganz dem Wichtelmännchen, das noch immer wie tot da lag. An seinem Hals waren noch deutlich die Spuren von Gorks groben Händen zu erkennen.

Knollennase begann zu schluchzen.

,,Lieber, kleiner Munkelpietz. Wach bitte auf, ich habe dir noch soviel zu sagen!“

Nichts tat sich.

Aber Gork war in der Zwischenzeit wieder zu Bewusstsein gekommen. Sein Schädelbrummen war gehörig und die Wunde an seiner Stirn blutete immer noch ein wenig. Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie hatte ihn dieser kleine Zwerg nur so überlisten können. Schmerzlich musste er feststellen, dass dem Zwerg und dem Wichtel die Flucht gelungen war. Nur ihren Kochtopf hatten sie in der Eile zurückgelassen. Er grämte sich furchtbar, aber es nützte nichts. Er überlegte kurz ob er sie verfolgen sollte, dann aber beschloss er in sein Zauberreich zurückzukehren und dann gemeinsam mit den Trollen die Jagd nach den beiden verhassten Kreaturen aufzunehmen. Er sprach einen kurzen Zauberspruch und war verschwunden.

Inzwischen war es Nacht geworden. Knollennase zitterte, denn es war bitterkalt geworden. Auch Topper und Schnelläufer froren gehörig und ließen ihr altbekanntes Eselsgeschrei erklingen.

,,Iiiiaaah, Iaaah, Iiiaaaahhh!“

Knollennase beschwor sie inständig damit aufzuhören und sie schienen auf ihn zu hören, denn nach einiger Zeit wurden sie wieder ruhiger. Er hatte Angst ein Feuer zu machen und damit dann Gork anzulocken, falls er die Sache mit dem Stein überlebt haben sollte. Irgendwann weit nach Mitternacht schlief er erschöpft ein.

Am nächsten Morgen war er in aller Frühe wieder wach. Er sah nach Munkelpietz, aber dessen Zustand schien sich nicht gebessert zu haben. Er trank etwas Wasser aus einer Wasserflasche und aß ein paar trockene Kekse. Dann faltete er eine alte Landkarte, die er von zu Hause mitgenommen hatte auseinander. Er schüttelte immer wieder sein Zwergenhaupt.

,,Durch die Berge können wir nicht weiter, sagte er. Gork könnte uns jederzeit überraschen und außerdem wäre dieser Weg viel zu anstrengend. Es gibt nur eine Möglichkeit, wir müssen durch die Wüste. Aber ohne Wasser?“

Plötzlich vernahm er ein leises Stöhnen. Er drehte sich um und sah dass Munkelpietz aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war. Der Wichtel sah ihn mit glasigen Augen an.

,,He Knollennase, was ist passiert?“ flüsterte Munkelpietz mit schwacher Stimme.

Der Zwerg schüttelte ungläubig den Kopf.

„Munkelpietz, kannst du dich nicht erinnern? Gork hat uns gefunden, er hätte dich beinahe erwürgt!“

Langsam kam Munkelpietz die Erinnerung wieder und er hatte viele Fragen. Knollennase erzählte ihm alles. Wie es ihm gelungen war den Zauberer außer Gefecht zu setzen und auch von der schrecklichen Flucht.
Munkelpietz hatte ihm schweigend zugehört, aber nun ergriff er das Wort.

,,Knollennase, du bist ein Held! Du hast mir mein Leben gerettet und dafür werde ich dir immer dankbar sein. Du hast dich als echter Freund erwiesen! Ich weiß nicht ob ich an deiner Stelle auch soviel Mut gezeigt hätte.“

Nun wurde Knollennase ein wenig verlegen.

,,Spare mit deinem Lob, sagte er. Noch ist nicht sicher ob wir Gork für immer los sind. Ich befürchte er ist schon wieder auf der Suche nach uns und er wird nicht eher Ruhe geben, bis er uns gefunden hat.“

Munkelpietz nickte.

,,Ich befürchte du hast Recht Knollennase!“

Dann machten sie sich daran ein karges Frühstück zu verspeisen. Munkelpietz war zwar noch ein wenig schwach auf den Beinen, aber sein Hunger war riesengroß. Später machte sich Knollennase dann auf den Weg um nach einem Bach oder einer anderen Wasserquelle zu suchen, denn die Wasservorräte waren nun wirklich dem Ende nahe.

Munkelpietz ruhte sich auf Befehl des Zwerges noch ein wenig aus. Er nützte die Zeit zu einem Gespräch mit Topper und Schnellläufer, den beiden Eseln. Und sie erzählten ihm noch einmal von den Heldentaten des Zwerges.

Gork war in sein Zauberreich zurückgekehrt. Die Nacht hatte er in seinem Zaubergemächern verbracht. Er hatte versucht durch seine Glaskugel mehr über die Fluchtwege des Zwerges und des Wichtelmännchens in Erfahrung zu bringen. Aber dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Nun hatte er die Anführer seiner Trolle zu sich gerufen und man beriet die Lage.

,,Ich will diese Zwerge und Wichtel haben, rief er immer wieder wütend aus. Eugen Balduin Munkelpietz, Knollennase, Raane und Emil Bartenbiel. Wenn wir diese vier letzten Teufelswäldler in unserer Gewalt haben, dann wird sich die Prophezeiung erfüllen.“

Die Anführer der Trolle gelobten ihm, dass sie die Zwerge und das Wichtelmännchen gefangen nehmen würden und Gork sollte sie anführen.

Es war schon später Nachmittag als Knollennase zurückkehrte. Er hatte lange suchen müssen, aber letztendlich hatte er doch noch einen kleinen Bach gefunden, der Wasser von brauchbarer Qualität mit sich führte. Mit Topper und allen Behältern, die er finden konnte machte er sich wieder auf den Weg zum Bach. Munkelpietz wollte ihm helfen, aber das lehnte Knollennase strikt ab.
,,Nein du bleibst hier, das mache ich allein. Ruh du dich nur noch eine Weile aus!“

Also blieb dem Wichtel nichts anderes übrig, als den Worten des Zwerges zu folgen. Er machte sich daran Vorbereitungen für das Abendessen zu treffen. Wieder konnte es nur Brote geben, denn Knollennase hatte ihn davor gewarnt ein Feuer zu machen. Später saßen sie dann zusammen, aßen belegte Butterbrote und tranken Wasser. Knollennase schilderte dem Wichtel nochmals die Lage in der sie sich befanden.

,,Uns bleibt nur eine Möglichkeit, wir müssen drei Tagesmärsche durch die Wüste riskieren, über die Berge schaffen wir es jedenfalls nicht! Oder willst du lieber umkehren und deine Suche aufgeben?“

,,Nein, alles nur das nicht!“

Der Wichtel erklärte sich mit dem Weg durch die Wüste einverstanden.
Am nächsten Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Sie hielten sich wieder Richtung Osten und nach drei anstrengenden Tagesmärschen erreichten sie gegen Abend des dritten Tages die sandigen Ausläufer des Wüstengebietes.
Nach einer längeren Rast beschlossen sie die Nacht hindurch zu gehen.

,,Tagsüber bedeutet die Wüste eine wahre Hölle,“ merkte Knollennase an.

Und obwohl Munkelpietz ganz schön geschafft war stimmte er den Worten des Zwerges zu.

,,Du hast recht!“

Der Mond schien hell und nun brachen die beiden auf und keiner wusste, ob das Schicksal es gut mit ihnen meinen würde.






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