Kapitel 13

13. Tortur in der  Wüste

Nachdem sie fünf lange Stunden durch den Wüstensand gestapft waren, war Munkelpietz völlig am Ende. Er keuchte und bekam kaum noch Luft. ,,Warte Knollennase rief er, ich kann nicht mehr!“

Auch Knollennase war mit seinen Kräften am Ende und so beschlossen sie, dass weitere Strapazen zwecklos waren. Sie hüllten sich in ihre Decken und warfen sich in den Sand um zu schlafen. Die Esel hatten sich auch hingelegt und waren ein wenig ärgerlich weil ihnen das Gepäck nicht abgenommen worden war. Topper versuchte noch einmal laut aufzuschreien, aber als er merkte das Wichtelmännchen und Zwerg nicht auf sein Schreien reagierten, gab er sich seiner unbequemen Lage hin. Als die Sonne am nächsten Tag den Zenit erreicht hatte erwachten sie. Nun konnten sie spüren, was die Wüste bedeutete. Pausenlos hatten sie Durst und kamen mit dem Trinken kaum nach. Auch die Esel forderten ihren Anteil an dem belebendem Nass. Langsam zogen sie weiter durch die Dünenlandschaft und der heiße Wüstensand brannte unter ihren Füßen.

,,Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig werden würde,“ wiederholte sich Knollennase des öfteren.
Der Wichtel schwieg. Er wollte lieber seine Kräfte sparen. Nichts außer endlosem Sand war zu sehen. Gegen Abend zog leichter Wind auf und der Himmel nahm eine seltsame Farbe an. Knollennase wurde unruhig. ,,Lieber Munkelpietz, ich befürchte wir werden in einen Sandsturm geraten!“

Sie zogen weiter und der Wind nahm zu. Topper und Schnellläufer konnten sich kaum noch auf den Beinen halten und drohten unter der Last ihres Gepäckes zusammenzubrechen. Dann brandete der Sandsturm vollends auf. Man sah nicht mehr die Hand vor Augen. Die kleinen Sandkörner bohrten sich in Augen, Ohren und Nasenlöcher und brachten entsetzliche Pein mit sich. Munkelpietz hatte sich ein Taschentuch vor den Mund gebunden, aber trotzdem schien es ihm, als würden seine Lungen vor lauter Sand zerbersten. Sein Mund war trocken und glich raustem Schmirgelpapier. Hinter einer großen Sanddüne fanden sie etwas Deckung. Die Esel gingen in die Knie und Knollennase löste das Gepäck von ihren Rücken. Dann nahm er seine Decke und warf sie über sich, der Wichtel tat es ihm gleich und so hatten sie wenigstens ein wenig Schutz vor dem Sand. Sie tranken Wasser und spülten ihre Münder aus, aber das Knirschen des Sandes, zwischen den Zähnen blieb. Bis zum nächsten Morgen kauerten Knollennase und Munkelpietz unter ihren Decken, dann war Spuk vorbei. Als Zwerg und Wichtel sich unter ihren Decken hervorwagten, bot sich ihnen ein übles Bild. Topper lag halb von Sand verdeckt auf der Erde, Schnelläufer taumelte wie ein Betrunkener hin und her.

,,Schnell Knollennase, gib ihm Wasser!“ rief Munkelpietz dem Zwerg zu. Er selber machte sich daran Topper von den Sandmassen zu befreien. Sanft streichelte er ihm über die grauen Ohren. Als Topper wieder auf den Beinen stand bekam er auch zu trinken. Nach einiger Zeit schienen sich die beiden Esel erholt zu haben. Knollennase nahm den Wichtel an die Seite. ,,Munkelpietz, sagte er, wir haben kaum noch zu trinken und wir haben noch nicht einmal ein Drittel der Strecke geschafft.“ ,,Was willst du damit sagen?“ antwortete der Wichtel.

,,Nichts!“ Sie aßen ein wenig, gaben den Eseln etwas Hafer und brachen dann wieder auf.
Der Marsch wurde noch beschwerlicher. Gegen Abend dieses Tages war das letzte Trinkwasser zur Neige gegangen. Durstig zogen sie weiter um wenigstens die Kühle der Dunkelheit auszunutzen. Aber kurz nach Mitternacht waren sie wieder mit den Kräften am Ende. Topper und Schnellläufer, die beiden Esel waren nicht mehr in der Lage auch nur noch einen Schritt weiterzugehen. ,,Wir werden es nicht schaffen, wenn nicht noch ein Wunder passiert,“ sagte Knollennase, der sich lang in den Sand geworfen hatte.

,,Wir haben einfach zu wenig Wasser mitgenommen,“ merkte Munkelpietz an. Knollennase stimmte ihm zu. ,,Ja, das war mein Fehler. Ich habe mich verkalkuliert, ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Esel so viel Wasser brauchen würden.“ Den Rest der Nacht verbrachten sie fast schweigend und versuchten auf andere Gedanken zu kommen um sich so von dem Durstgefühl, das sie immer deutlicher verspürten abzulenken. Auch Topper und Schnelläufer gaben kaum einen Laut von sich. Am nächsten Tag brannte die Sonne heißer, als je zuvor. Knollennases Lippen waren von der Hitze ganz wund geworden und begannen teilweise aufzuplatzen. Die Esel torkelten nur noch durch die Landschaft und auch Munkelpietz war dem Delirium fast nahe.

In weiter Ferne glaubte er den Teufelswald zu erkennen und sah all seine Freunde, Rotschweif den Fuchs, Walburga Wichtig und auch Grimmbart Dachs. Er kniff die Augen zu, aber die Bilder verschwanden nicht. Dann brachen Toppers Vorderbeine ein und er stürzte. Knollennase nahm ihm das Gepäck ab und setzte sich neben ihn.  ,,Was sollen wir tun?“

Der Wichtel gab keine Antwort. Er war in einer anderen Welt. Und dann fiel auch er hin und blieb im Wüstensand liegen. Die Lage war hoffnungslos. Knollennase sah hoch am Himmel einen Geier.
Er lachte unwirsch. ,,Man sollte es nicht glauben, da entkommt man Gork und dann krepiert man hier in der Wüste.“

Er überlegte kurz ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, einen der Esel zu töten und dann dessen Blut zu trinken. Aber angewidert verwarf er den Gedanken auch gleich wieder. Dann verlor er das Bewusstsein. Es dauerte drei Stunden und der Aasgeier, der immer noch hoch am Himmel stand, war sich seiner Beute schon sicher. Aber plötzlich vernahm man Stimmen und in der Ferne tauchte als kleiner Punkt eine Kamelkarawane auf. Schnellläufer, der als einziger noch auf den Beinen stand reagierte meisterlich. Mit letzter Kraft schrie er auf, so laut er konnte. ,,Iiiaaah, Iiaaahhh, Iiiahhh, Iiiahhh!“

Als er sich sicher war, das seine Schreie gehört worden waren, sackte auch er entkräftet zusammen. Es dauerte sehr lange, bis Munkelpietz und Knollennase wieder zur Besinnung kamen. Sie befanden sich in einem großen Beduinenzelt, welches sehr prächtig ausgestattet war. Ein großer, bärtiger Mann hatte sich über sie gebeugt und flößte ihnen eine süße, wohlschmeckende Flüssigkeit ein.

,,Salam aleikum,“ sagte er.  „Ihr seid in Sicherheit! Allahs Augen haben über euch gewacht und uns euch finden lassen!“ Munkelpietz verstand nicht so recht, aber es war ihm egal. Hauptsache er war noch am Leben. Am nächsten Morgen waren Zwerg und Wichtel wieder einigermaßen zu Kräften gekommen. Wieder begrüßte sie der große, bärtige Mann und brachte ihnen Tee und süße, saftige Früchte.

,,Das sind Honigmelonen!“ sagte er. Knollennase und Munkelpietz nickten nur und machten sich dann über den Tee und die Melonen her. ,,Ihr könnt euch bei eurem Esel für eure Errettung bedanken, erst durch seine Schreie wurden wir auf euch aufmerksam!“ ,,Wie geht es unseren Eseln?“ wollte nun Knollennase wissen. ,,Sie leben,“ gab ihnen der große, bärtige Mann zur Antwort.

Nun mischte sich Eugen Balduin Munkelpietz in das Gespräch ein. ,,Darf ich uns vorstellen! Mein Name ist Munkelpietz und das hier ist der Zwerg Knollennase. Wir sind auf dem Weg nach Tamarkant!“ ,,Nach Tamarkant? Na, dann habt ihr euch aber ganz schön verirrt!“ Der große, bärtige Mann lachte auf.

,,Übrigens mein Name ist Omar Jamaat, ich bin Teppichhändler und ziehe mit meinen Kamelen durch die Wüste.“ Dann erzählte er ihnen, dass sie sich zwei Tagesreisen von dem eigentlichen Weg nach Tamarkant fortbewegt hatten. Und Knollennase und Munkelpietz erzählten dem Teppichhändler von ihrer Begegnung mit Gork und warum sie schleunigst nach Tamarkant aufbrechen mussten.

,,Das ist eine merkwürdige Geschichte, rief Omar Jamaat aus. Aber ich mag euch beiden kleinen Männchen, deshalb werde ich euch durch die Wüste bringen und euch den Weg nach Tamarkant weisen.“ Knollennase und Munkelpietz bedankten sich sehr höflich und ihnen fiel ein großer Stein vom Herzen. Dann verließen sie das Zelt des Teppichhändlers und sahen nach den Eseln. Die beiden hatten sich auch gut erholt und Munkelpietz gab Schnellläufer einen dicken Kuss auf dessen Eselsnüstern. ,,Danke Schnellläufer, du warst unser Retter!“

Aber es gab noch mehr zu bestaunen. Neugierig sahen Zwerg und Wichtel sich die Kamele an. Solch komische Tiere hatten sie noch nie gesehen. Auch die Teppiche, die der Teppichhändler mit sich führte waren äußerst prächtig und kostbar. Aber der Teppichhändler war nicht allein gereist, denn ein zweiter Mann begrüßte sie. ,,Abu Saad, sagte er. Ich bin der Kameltreiber!“ Er reichte ihnen die Hand und blinzelte freundlich.

Gegen Mittag brach die Karawane wieder auf. Munkelpietz und Knollennase hatten auf einem der Kamele Platz genommen und waren hocherfreut, das sie nun nicht mehr den heißen Sand unter den Füßen spüren mussten. Abu Saad trieb die Kamele an und Topper und Schnelläufer folgten am Schluss. Das Gepäck, das die Esel getragen hatten, hatte man auf die Kamelrücken verteilt und so kamen sie mit dem Tempo der Kamele gut mit. ,,Ach Munkelpietz, so lässt es sich wohl reisen,“ sagte Knollennase und lehnte sich entspannt zurück .

Der Wichtel grinste und genoss den Ritt auf dem seltsamen Wüstenschiff. Gegen Abend stoppte die Karawane und das Beduinenzelt wurde wieder aufgebaut. Dann gab es Abendessen und unsere beiden Freunde wurden mit allerhand unbekannten, aber dennoch sehr schmackhaften Dingen verwöhnt. Sie schliefen die Nacht über auf weichen Teppichen und begannen sich wie Könige zu fühlen. Am nächsten Tag begann das Spiel von vorn, das Zelt wurde abgebaut, die Karawane setzte sich in Bewegung und zog ihre Spur.

,,Heute Abend, haben wir den Weg nach Tamarkant wieder erreicht und dann dauert es noch zwei Tage bis wir wieder fruchtbare Erde erreichen,“ gab der Teppichhändler Auskunft. So ging es Stunden um Stunden weiter, der Tag verging, die Nacht kam, ein neuer Tag brach an und als der zu Ende gegangen war, war es wieder Abend. Wieder gab es köstliche Speisen und heute Abend nahm sich der Teppichhändler besonders viel Zeit. Er erzählte allerhand amüsante Geschichten aus seinem Leben, sprach über seine Frau und seine acht Kinder und redete auch sehr lange über seinen Gott “ Allah “.

,,Ich werde dich nicht vergessen, Omar Jamaat,“ sagte der Wichtel als sich der Teppichhändler von ihnen verabschiedete um schlafen zu gehen. Und Knollennase fügte hinzu: ,,Wir haben nichts womit wir unsere Schulden bei dir bezahlen könnten!“

Der Teppichhändler schüttelte den Kopf. ,,Bei Allah, ihr schuldet mir nichts. Alle Schulden, falls ihr sie jemals gehabt habt, sind durch eure Freundschaft abgegolten.“ Dann ging er und Munkelpietz und Knollennase dachten über diesen letzten Satz noch eine ganze Weile nach.

Dann war der letzte Tag gekommen, den sie in der heißen Wüste verbringen sollten. Wieder war die Karawane der Kamele in aller Frühe aufgebrochen. Es war immer noch heiß, aber es wurde allmählich erträglicher. Gegen Mittag erreichten sie eine Steppenlandschaft und je weiter sie kamen desto mehr Vegetation gab es ringsherum. Am späten Nachmittag stoppte Abu Saad die Kamele.

,,So, von hier aus werdet ihr den Weg selber finden,“ sagte der Teppichhändler. Abu Saad erzählte ihnen, dass sich in zehn Kilometer Entfernung ein großer Fluss befinden würde. Hier könnten sie auch frisches Wasser aufnehmen. Munkelpietz und Knollennase verabschiedeten sich noch einmal von Abu Saad dem Kameltreiber und Omar Jamaat, seinem Herrn. ,,Und denkt immer daran, Allahs Wege sind unergründlich. Ich würde mich freuen, wenn wir uns mal wieder begegnen,“ sagte der Teppichhändler zum Abschied. Munkelpietz und Knollennase beluden die Esel wieder mit ihrem Gepäck und dann waren sie wieder auf sich allein gestellt. Sie warteten, bis sie die Karawane nicht mehr sehen konnten und machten sich auf den Weg zum Fluss, den ihnen Abu Saad beschrieben hatte. Einem neuen Abenteuer entgegen.


© Hansjürgen Katzer, 1997






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