Kapitel 9

9. Die Stadt am Meer

Am nächsten Morgen waren Knollennase und Munkelpietz früh aufgestanden. Der Wichtel hatte sehr schlecht geschlafen, denn das Sofa des Zwerges hatte sich als äußerst unbequem erwiesen. Nach dem Frühstück nahm Knollennase den Wichtel mit an den Strand.

,,Der frühe Morgen, ist die beste Zeit um nach Bernstein Ausschau zu halten!“

Knollennase bückte sich, hob etwas gelbliches auf und reichte es dem Wichtel.

,,Hier hast du ein Anschauungsstück, so sieht Bernstein aus!“

Der Wichtel betrachtete den kleinen gelblichen, etwas ins rötliche gehenden Stein, der nun in seiner Wichtelhand lag.

,,Beim Bernstein handelt es sich um das verhärtete Harz von Nadelbäumen, die vor vielen Jahrtausenden die Erde bedeckten, belehrte ihn Knollennase. Er hat meist eine gelbliche Einfärbung, geht aber auch ins dunkelbraune und rötliche. Manchmal finde ich bis zu zehn solcher Steine hier am Strand!“

,,Und was machst du damit?“

Knollennase kratzte sich an seinem Zwergenbart.

,,Also weißt du. Ich bearbeite die Steine und fertige dann davon Schmuckstücke an, die ich in der Stadt verkaufe.“

Sie gingen weiter, aber sie fanden keinen Bernstein mehr und so beschlossen sie zur Hütte des Zwerges zurückzukehren. Zwerg Knollennase bereitete das Mittagessen und der Wichtel half ihm dabei. Es gab Möweneier, Bratkartoffeln und eingelegten Hering. Das Essen mundete dem kleinen Wichtel hervorragend.

,,Den Hering habe ich selbst gefangen,“ sagte Knollennase als sich der Wichtel noch einen Nachschlag nahm.

Der Wichtel antwortete nicht, da er den Mund noch voll wohlschmeckenden Fisches hatte.

,, Einmal im Monat fahre ich nämlich mit einem befreundeten Fischer aufs Meer und helfe ihm dann ein wenig. Meistens bekomme ich dann einen kleinen Teil des Fanges ab.“

Der Wichtel hatte nun fertiggegessen und konnte endlich wieder sprechen.

,,Ich muss schon sagen, du bist ein Meisterkoch. Und dein Hering schmeckt einfach wunderbar!“

Bei soviel Anerkennung bekam Knollennase nun ganz glänzende Augen. Er stellte die leeren Teller zusammen und räumte den Tisch ab.
,,Bist du eigentlich glücklich hier, oder könntest du dir vorstellen mit mir gemeinsam in den Teufelswald zurückzukehren?“

Munkelpietz sah den Zwerg an. Knollennase musste einen Moment überlegen und er kratzte sich wieder an seinem Bart.

,,Weißt du Munkelpietz! Ich lebe jetzt schon etliche Jahre hier. Manchmal bin ich gern an diesem Ort, manchmal nicht! Ich habe hier meistens meine Ruhe, habe einige wenige Freunde gefunden, obwohl ich den Menschen meist aus dem Weg gehe. Aber im Großen und Ganzen gibt es glaube ich, schlechtere Plätze als diesen!“

,,Das war nur eine halbe Antwort, merkte der Wichtel an. Könntest du dir vorstellen wieder im Teufelswald zu leben?“

Knollennase überlegte wieder angestrengt.

,,Ja Munkelpietz, sagte er schließlich. Ich könnte es mir vorstellen, eines Tages, irgendwann!“

,,Warum irgendwann, warum nicht sofort? Lass uns Emil und Raane Bartenbiel aufsuchen! Falls wir sie finden, kehren wir alle vier in den Teufelswald zurück!“

Eugen Balduin Munkelpietz hatte diesen letzten Satz fast herausgeschrieen. Knollennase stand nun auf und zog sich seine Jacke an.

,,Entschuldige mich bitte, sagte er. Ich muss jetzt für einen Moment allein sein.“

Dann ging er zur Tür hinaus und der Wichtel blieb allein zurück.

,,Habe ich etwas falsch gemacht, hätte ich das nicht sagen dürfen?“ ragte er sich.

Es wurde bereits dunkel als Knollennase zurückkehrte. Der Wichtel war sehr erleichtert. Knollennase schaute ein wenig verlegen drein.

,,Es tut mir leid, dass ich dich den ganzen Tag hier allein sitzen gelassen habe. Aber ich musste eine Entscheidung treffen!“

,,Aber das macht doch nichts Knollennase.“

,,Schweig bitte Munkelpietz und höre mir zu. Ich glaube du hast dir fest vorgenommen, nach Emil und Raane Bartenbiel zu suchen. Ich werde dich begleiten bei deiner Suche und wenn wir die beiden tatsächlich finden, dann werden wir weiter sehen!“

Der Wichtel war nun von seinem Stuhl, auf dem er gerade noch gesessen hatte aufgesprungen.

,,Ist das wirklich dein Ernst Knollennase?‘’
Der Zwerg nickte.

,,Ja, mein voller Ernst und jetzt komm, denn nun will ich dir die Stadt zeigen. Es gibt auch bei Nacht eine Menge zu sehen!“

Sie zogen sich rasch um und eine Stunde später standen sie am Hafen, der großen Stadt am Meer. Hier gab es zahlreiche große Segelschiffe zu bestaunen. Einige wurden gerade entladen und es herrschte ein heilloses Durcheinander und Stimmengewirr.

,,Diese Schiffe kommen aus aller Herren Länder, rief der Zwerg. Sie bringen Gewürze, Elfenbein, Gold und Silber, feinste Stoffe und viele andere Kostbarkeiten in die Stadt!“

Dann gingen sie weiter und bogen bald darauf in eine Geschäftsstraße ein. Hier gab es viele verschiedene Geschäfte. Aber leider konnte der Wichtel nicht sehr viel erkennen, da die meisten verdunkelt waren. Er beschloss am nächsten Tag, wenn es hell war, hierher zurückzukehren. Dann wollte er sich noch einmal genauer umschauen.

,,Hier in der Stadt, kannst du alles bekommen, was dein Herz begehrt. Natürlich musst du auch über die entsprechenden Geldmittel verfügen!“

Knollennase führte den Wichtel zum Schaufenster einer Bäckerei. Hier schien noch fahles Licht und der Wichtel konnte einige leckere Torten und Kuchen entdecken. Gern hätte er einmal von dem süßen Gebäck gekostet, aber leider war die Bäckerei geschlossen. Die beiden machten sich zurück zum Hafen, dabei nahm der Zwerg eine Abkürzung durch eine Gegend, die trostlos und erbarmungswürdig dalag. Vor einen großen, ziemlich baufälligen Haus blieb der Zwerg stehen.

,,Das hier ist das Waisenhaus der Stadt,“ sagte er zu Eugen Balduin Munkelpietz.

Bei dem Wort Waise, hatte der Wichtel plötzlich seine ganze Vergangenheit vor Augen. Nachdem Gork damals seine Eltern getötet hatte, nahm sich eine alte Zwergin, namens Giselda seiner an. Der Wichtel und die Zwergin waren nach der Flucht aus dem Teufelswald in die Nähe eines kleinen Dorfes gezogen. Hier hatten sie ein kärgliches Leben gefristet. Sie lebten von dem Verkauf von Pilzen, Kräutern und Brennholz, welches sie den Dorfbewohnern für wenig Geld verkauften. Die Dorfbewohner mochten die seltsame Zwergin und ihren Zögling nicht sonderlich und ließen die beiden dieses auch deutlich spüren. Kurz nachdem der kleine Wichtel fünfzehn Jahre alt geworden war, fand man die Zwergin eines Morgens totgeprügelt an einem Wegesrand, der zum Dorf führte. Irgendjemand hatte sie erschlagen, aber der Täter wurde nie gefunden, es war den Dörfern auch ziemlich egal. Was zählte schon das Leben einer alten Zwergenfrau.
Eugen Balduin Munkelpietz hatte sie begraben und war dann Hals über Kopf geflohen, zurück in den Teufelswald, der ihm vertraut schien.

Keinem hatte er die traurige Geschichte bisher erzählt, eigentlich hatte er sie in den letzten Jahren vollends verdrängt. Aber nun waren die Bilder wieder da.

,,Was ist mit dir?“

Knollennase rüttelte den Wichtel, der völlig weggetreten schien am Kragen. Dieser erwachte nun aus seiner scheinbaren Trance.

,,Was?“

Knollennase blickte dem Wichtel tief in die Augen.

,,Ich dachte du hättest ein Gespenst gesehen!“

,,Nein, ich habe bloß an etwas schreckliches gedacht.“

Sie gingen weiter und waren nach wenigen Minuten wieder am Hafen angekommen. Vor einem schummrigen Gasthaus machten sie halt.

,,Ich muss noch meinen Freund, den Fischer aufsuchen, sagte Knollennase. Aber du brauchst keine Angst zu haben, hier im schwarzen Haifisch sind auch Zwerge und Wichtel gern gesehene Gäste.“

Dann kehrten sie in das Gasthaus ein. Einige Matrosen saßen an den Tischen und tranken Bier und Wein. Die Luft war recht trocken und roch nach Pfeifentabak. Knollennase schob den Wichtel weiter. An einem Ecktisch blieb er stehen. Hier saß ein alter Mann mit braungegerbter Haut und silbergrauem Haar. Er erhob sich, als er den Zwerg sah.

,,Darf ich vorstellen!“, rief Knollennase aus.

,,Das ist Snorke, der Fischer. Ein alter Freund von mir. Und wenn ich ehrlich bin auch der einzigste, den ich hier in der Stadt habe!“

Dann zeigte er auf den Wichtel.

,,Und dies hier ist Eugen Balduin Munkelpietz, ein Wichtel aus dem Teufelswald, dort wo sich meine heimatlichen Wurzeln befinden!“

Dann reichte er dem Fischer die Hand und Zwerg und Wichtel setzten sich mit an den Tisch.

,,Mögt ihr auch einen Grog?“

Knollennase nickte.

,,Ja, so ein schöner, steifer Seemannsgrog wäre jetzt genau das richtige. Was meinst du Munkelpietz?“

Der Wichtel zuckte mit den Schultern. Er hatte noch nie Grog getrunken.

,,Hinnack bring uns mal drei Grog,“ rief Snorke dem Wirt zu.

,,Wie war denn dein Fang heute,“ wollte Knollennase dann wissen.

,,Ach ich kann nicht klagen. War eigentlich ganz gut. Musst mal wieder mitkommen!“

Der Wirt brachte drei dampfende Gläser mit einer gelblichen, stark nach Alkohol duftenden Flüssigkeit.

,,Na dann mal Prost!“

Snorke trank sein Glas mit einem Zug fast halb leer. Auch Knollennase schien den Grog zu mögen. Der Wichtel nippte vorsichtig an dem heißen Getränk, aber es sagte ihm nicht sonderlich zu.

,,Komm Junge, trink dein Glas aus, gleich kommt Nachschub!“

Snorke grinste den Wichtel an und zwinkerte mit den Augen. Eine zweite Runde Grog wurde gebracht. Munkelpietz würgte das heiße Gebräu hinunter, aber schmecken wollte es ihm immer noch nicht. Eine dritte Runde wurde gebracht. Der Wichtel spürte wie sich alles um ihn herum zu drehen begann und dann wurde es ihm schwarz vor Augen.

Am nächsten Morgen erwachte er auf Knollennases Sofa gebettet. Sein kleiner Wichtelkopf schmerzte ganz entsetzlich. Knollennase erschien und brachte ihm eine große Tasse mit heißem, starken Tee.

,,Na Munkelpietz, alter Freund! Wie geht es dir denn heute morgen? Das war gestern wohl ein Glas Grog zuviel, was?“

Der Wichtel winkte ab.

,,Lass gut sein Knollennase, erinnere mich bloß nicht noch mal an dieses Teufelszeug!“

Dann setzte er sich aufrecht hin und trank mit kleinen Schlücken die Tasse mit dem Tee aus. Bald ging es ihm besser und das Kopfweh ließ nach.

,,Wie bin ich überhaupt hierher gekommen? Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

,,Snorke hat dich hierher getragen. Übrigens, er hat versprochen uns zwei Esel zu besorgen!“

Nun sah der Wichtel den Zwerg verdutzt an.

,,Esel?’’

Knollennase lachte.

,,Ja, du hast schon richtig verstanden, Esel. Ich dachte du wolltest dich auf die Suche nach Emil und Raane Bartenbiel machen. Falls wir diese gefährliche und abenteuerliche Reise in Angriff nehmen wollen, dann brauchen wir allerhand Gepäck und Ausrüstung, oder?“

Munkelpietz, der kleine Wichtel nickte.

,,Siehst du, und ich habe keine Lust all die schweren Sachen selbst zu tragen. Deshalb habe ich Snorke gebeten uns zwei Esel zu besorgen, denn sein Schwager züchtet die besten Lastesel im ganzen Umkreis.“

Nun hatte Eugen Balduin Munkelpietz die Sache gänzlich begriffen und seine Kopfschmerzen waren auch vergessen.

,, In drei Tagen brechen wir auf,“ sagte Knollennase.

,, In drei Tagen schon!“

Der Wichtel wollte es kaum glauben.

,, Ja und morgen beginnen wir mit den Vorbereitungen für die Reise. Es gibt noch eine ganze Menge zu tun. Heute, aber werde ich Snorke noch auf Fischfang begleiten. Möchtest du auch mit?“

Der Wichtel schüttelte den Kopf.

,,Nein ich bleibe hier und werde mich noch ein wenig ausruhen.“

Knollennase zog sich die Jacke an und trat aus der Hütte. Der Wichtel wartete noch eine Weile und zog sich dann auch um. Das er sich ausruhen musste, das war nur ein Vorwand gewesen, den eigentlich hatte er vorgehabt in die Stadt zu gehen. Er holte sich den Beutel mit dem Elfenstaub und streute sich eine Prise über den Kopf. Dann verließ auch er die Zwergenhütte.

,,So und jetzt werde ich mich einmal richtig umsehen,“ er musste kichern bei dem Gedanken, dass ihn niemand sehen konnte.

Es dauerte eine ganze Weile bis er den Hafen der Stadt erreicht hatte. Vor dem schwarzen Haifisch blieb er einen Moment stehen und schüttelte sich. Er schwor sich niemals wieder so etwas grässliches, wie Grog zu trinken. Dann ging er weiter bis er die Geschäftsstraßen erreicht hatte. Hier herrschte nun bei helllichtem Tag, großer Andrang.

Ach was gab es hier nur alles zu entdecken und zu kaufen. In der Auslage eines Schuhmachers entdeckte er feinste Schuhe und Stiefel. Ein Geschäft verkaufte Süßigkeiten ein anderes feinstes Tuch und Seide. Aber am meisten interessierte ihn die Bäckerei, vor dessen Fenster er schon gestern Abend gestanden hatte. Die Torten und das Gebäck sahen noch köstlicher aus, als in der Nacht zuvor. Eine dicke Frau betrat die Bäckerei und der Wichtel schob sich hinter ihr durch die Tür. Ach welch herrlicher Duft nach Mandeln, Korinthen, Anis und anderen Leckereien drang ihm nun in die kleine Wichtelnase.

,,Was wünschen sie?“ fragte ein hübsches, junges Mädchen, das eine weiße Schürze trug.

,,Ich hätte gern drei Stück von der Apfeltorte,“ antwortete die dicke Dame.

,,Aber mit reichlich Schlagsahne und packen sie es mir gut ein, Fräulein!“

,,Gewiss Baronin!“

Eugen Balduin Munkelpietz hatte sich inzwischen in eine Ecke des Ladens verdrückt und probierte von den vielen köstlichen Sachen, die dort zur Auswahl standen. Er naschte von den Rumkugeln, biss ein großes Stück von einen mit Rosinen und Mandeln gefüllten Hefezopf ab und auch von einem Käsekuchen nahm er sich ein Stück. Es schmeckte alles herrlich.

Die dicke Dame hatte die Bäckerei inzwischen wieder verlassen und nun war der Meister aus der Backstube in den Laden getreten.

,,Käthe,“ schalt er das Mädchen, welches immer noch hinter der Verkaufstheke stand.

„Siehst du denn nicht, dass sich diese elenden Bälger aus dem Waisenhaus schon wieder mit ihren kleinen Rotznasen an unserem Schaufenster plattdrücken?“

Nun hatte auch der Wichtel die Kinder entdeckt. Es waren zwei Buben und ein blondes Mädchen mit langen Zöpfen, die sehnsuchtsvoll durch das Fenster auf die köstlichen Kuchen starrten.

,,Ach Vater, es sind doch nur Kinder und sie tun doch keinem etwas!“

,,Kinder! Das ich nicht lache, kleine Verbrecher sind das alle. Ich will sie hier nicht haben, hast du das verstanden!“

Er griff sich einen Besen und ging aus dem Laden hinaus um die Kinder zu vertreiben. Der Wichtel folgte ihm, denn nur so konnte er den Laden unbemerkt wieder verlassen.

,,Macht bloß das ihr fortkommt, ihr Gören und Rotzbengel!“

Die drei Kinder sahen den Bäckermeister verängstigt an und liefen dann so schnell sie konnten fort.

Munkelpietz unterdessen trat dem Bäckermeister voller Wut und so doll er konnte vor das Schienbein. Schmerzgepeinigt setzte er sich auf den Hosenboden. Der Wichtel lachte noch einmal auf und dann rannte er den drei Kindern nach. Aber so sehr er auch nach ihnen suchte, er konnte sie nicht mehr finden. So beschloss er zum Waisenhaus zu gehen. Vielleicht würde er sie ja dort finden.

Im Garten des Waisenhauses fand er die drei Kinder dann auch. Sie saßen in Gras und redeten miteinander.

,,Ach wenn ich Geld hätte Lena, ich würde dir den größten Kuchen der Welt kaufen, einen Kuchen mit sechs großen Kerzen darauf,“ sagte der größere der beiden Jungen.

Das Mädchen mit den blonden Zöpfen begann zu weinen.

,,Ach weine nicht, Schwester sagte der kleinere der beiden Jungen. Alles wird irgendwann besser!“

Das Mädchen beruhigte sich.

,,Nichts wird besser. Seit unsere Eltern nicht mehr sind, geht es uns nur noch schlecht. Schaut uns nur an, wir sind Waisenkinder, in Lumpen gekleidet, ständig haben wir Hunger und die Aufseherin kann uns auch nicht leiden. Und morgen habe ich Geburtstag und es wird ein Tag ohne Freude sein.“

Dann stand sie auf und ging.

,,Ach wenn ich nur wüsste wo wir einen Kuchen und ein kleines Geschenk herbekommen,“ sagte der größere Junge. Und der kleinere wusste auch keine Antwort.

Plötzlich kam eine Nonne in den Garten.

,, Johannes, Martin! Hier steckt ihr also. Geht sofort in die Küche und holt euch heißes Wasser!“

„Ihr seid heute mit dem Schrubben der Flure dran. Und macht eure Arbeit gut, sonst setzt es eine ordentliche Tracht Prügel.“

Die beiden Jungen seufzten und folgten dann gehorsam der Nonne.

Der Wichtel blieb allein zurück er setzte sich auf einen Holzstumpen, der im Garten des Waisenhauses stand und dachte nach.

,,Oh Welt, was bist du doch oft ungerecht,“ entfuhr es ihm.

Aber dann kam ihm eine gute Idee. Vielleicht würde die kleine Lena, ja doch noch ihre Geburtstagstorte bekommen. Er wühlte in seinen Taschen und fand einige Silberstücke. Diese gehörten zu den zweihundert Silberstücken, die er dem bösen Gutsherrn bei seinem abenteuerlichen Spuk abgenommen hatte. Der Wichtel wartete bis es Abend wurde und dann begab er sich so rasch er konnte zu der Bäckerei hin, dorthin wo der Bäckermeister, die drei Waisenkinder so schlecht behandelt hatte. Er schlich um die Bäckerei aber alle Türen und Fenster waren verschlossen. Schließlich fand er aber noch ein mit Brettern vernageltes Kellerfenster, durch das er in den Keller der Bäckerei gelangte.

Hier war es stockduster und der alte Kater des Bäckers, der plötzlich auffauchte als er den Wichtel erblickte, erschreckte Munkelpietz beinahe zu Tode. Langsam tastete sich der Wichtel weiter durch die Kellerräume, bis er an eine Stiege gelangte. Der Kater fauchte und miaute immer noch ganz aufgebracht und Eugen Balduin Munkelpietz wurde Angst und Bange. Kurz bevor er das Ende der Stiege erreicht hatte und einen schmalen Lichtspalt erblickte, wurde die Kellertür aufgerissen. Der Bäckermeister stand in der Tür und brüllte:

,,Peterle, nun gib schon Ruh. Du sollst da unten Mäuse fangen und nicht das ganze Haus zusammenfauchen!“

Der Kater war mit einem Mal ruhig und Eugen Balduin Munkelpietz nutzte die Gelegenheit um an dem Bäcker vorbei in dessen Stube zu gelangen. Hier war es sehr gemütlich. Käthe die Tochter des Bäckermeisters saß in einem Schaukelstuhl und strickte und nachdem der Meister den Kater genug gescholten hatte, kehrte er in seinen gemütlichen Ohrensessel zurück und begann in einer Zeitung zu lesen.

,,Was hatte Peterle denn?“ wollte die Tochter vom Vater wissen.

,,Ich weiß nicht, vielleicht wird er auf seine alten Tage ein wenig närrisch,“ gab dieser zur Antwort und widmete sich wieder seiner Zeitung.

Der Wichtel wartete noch einen Moment und dann warf er ein Silberstück auf den hölzernen Fußboden. Das Geräusch des Geldstückes, das nun über den Fußboden kullerte erweckte das Interesse der Bäckerstocher. Sie legte ihr Strickzeug weg und erhob sich aus ihrem Schaukelstuhl um die Münze aufzuheben.

,,Schau Vater ein Silberstück!“

Der unsichtbare Wichtel warf ein zweites und ein drittes Silberstück auf den Fußboden.

Nun hatte sich auch der Bäcker aus seinem Ohrensessel erhoben. Ein viertes und ein fünftes Silberstück fielen zu Boden.

,,Tochter, ach Tochter! Schau nur es scheint Silberstücke von der Decke zu regnen.“

Der Bäckermeister war nun ganz aufgeregt. Schnell hob er die vier Silberstücke von Boden auf und nahm seiner Tochter auch das fünfte aus ihren zarten, jungen Händen.

,,Wo kommen die Taler bloß her?“ verwundert sah Käthe ihren Vater an.

Dieser blickte sich verwegen um.
,,Ich weiß es nicht, aber vielleicht kommen da ja noch mehr.“

Der Wichtel hatte es sich in der Zwischenzeit auf der Ofenbank gemütlich gemacht und sprach mit verstellter, tiefer Stimme.

,,Das glaube ich nicht, mehr bekommst du nicht Bäcker!“
,,Wer bist du?“

Käthe war nun ängstlich an die Seite ihres Vaters gesprungen.

,,Ich ihr braucht mich nicht zu suchen, ich bin ein Geist, ein guter Geist.“

,, Ja und was wollt ihr von uns?“ wollte Käthe nun wissen.

,,Mmh, ich habe deinen Vater heute Nachmittag beobachtet, wie er die drei Kinder vertrieben hat, nur weil sie an eurem Fenster standen.“

,,Na und, sprach der Bäckermeister nun zornig. Ich kann doch wohl wegjagen, wen immer ich will. Und diese Rotzgören aus dem Waisenhaus, da kann man nie sicher sein, ob die nicht stehlen oder den Laden leer räumen. Erst heute Abend, habe ich in der Ecke meines Ladens wieder zwei angebissene Stücke Kuchen gefunden. Das waren diese kleinen Halunken bestimmt auch.“

,,Nein, deinen Kuchen habe ich gegessen. Und ich war es auch, der dich vor dein Schienbein getreten hat,“ antwortete Eugen Balduin Munkelpietz, der unsichtbare Wichtel.

,,Na dann bist du ja auch ein Spitzbube!“

,,Ich sehe das ein wenig anders, gab Munkelpietz ihm zur Antwort. Du bist ein Mann der es eigentlich recht gut im Leben hat. Du bist dein eigener Herr, du verdienst genügend Geld, du bist angesehen in dieser Stadt. Und weil das so ist, hast du auch ein klein wenig Verantwortung für diejenigen zu übernehmen, denen es nicht so gut geht.“

Dies gilt insbesondere für Kinder und Alte!“

,,Ach hör doch auf, bin ich etwa der große Wohltäter, der jedem Bedürftigen Hilfe und Obdach gibt? Sag mir jetzt was du von mir willst und dann geh bitte wieder. Ich mag nämlich keine Geister!“

,,Also gut, die drei Kinder, die du heute verscheucht hast sind Geschwister. Vor einiger Zeit verloren sie ihre Eltern und nun fristen sie im Waisenhaus ein tristes und erbärmliches Dasein. Es sind wahrlich liebe Kinder und ich habe sie ein wenig belauscht. Das Mädchen, die kleine Lena wird morgen sechs Jahre alt und sie wünscht sich nichts sehnsüchtiger als eine große Geburtstagstorte mit sechs Kerzen.“

„Und deswegen bin ich hier. Ich gebe dir die fünf Silberstücke, wenn du mir heute Nacht die Torte backst und sie dann morgen früh bei der kleinen Lena im Waisenhaus ablieferst.“

,,Und wenn ich das nicht tue?“

Nun mischte sich Käthe wieder in das Gespräch ein.

,,Vater, jetzt gib dir einen Ruck. Ich glaube das wäre eine wirklich lobenswerte Tat, wenn du diesem kleinen Mädchen ihren sehnlichsten Wunsch erfülltest. Im Grunde deines Herzens bist du doch ein sehr gütiger und vernünftiger Mensch!“

,,Ach ich weiß nicht!“

,,Ich werde dir auch helfen, Vater!“

So wurden sie sich dann einig und der Bäckermeister erklärte sich bereit die Torte zu backen. Es dauerte die halbe Nacht. Eier mussten aufgeschlagen werden, Mehl musste gesiebt werden. Mit Butter, Zucker und viel guter Milch wurde in einer großen Schüssel alles zu einem leckeren Teig geknetet. Dann kam die Füllung. Auch hier verwendete der Bäcker nur köstlichste Zutaten. Zum Schluss wurde die Torte mit feinster Schokolade glasiert und der Bäcker fügte zahlreiche Marzipanrosen und den Namenszug Lena ein. Käthe steckte nun noch sechs rote Kerzen auf die Torte und hatte vor lauter Freude ganz rote Backen bekommen.

„Fertig,“ rief sie aus.

Der Bäcker holte die größte Tortenschachtel, die er finden konnte aus dem Lager und die beiden verpacken die Torte zu einem kunstvoll gestalteten Geschenk. Die Kirchturmuhr schlug drei Uhr und der Bäckermeister spürte, das er müde wurde. Aber er konnte noch nicht ins Bett, denn nun begann ja erst seine alltägliche Arbeit. Brötchen und Brot für das Frühstück der Stadtbewohner mussten gebacken werden und das war auch eine schwere und mühsame Arbeit. Mindestens so schwer wie das Backen einer Geburtstagstorte. Käthe brachte ihrem Vater eine Tasse Kaffee und der machte sich nach kurzer Pause wieder an die Arbeit.





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