Kapitel 11

11. Auf dem Weg nach Tamarkant

Eugen Balduin Munkelpietz war gegen Mittag aufgestanden. Er betrachtete sich in einem kleinen Spiegel. Normalerweise müsste er jetzt eigentlich wieder sichtbar sein. Der eine Tag, der ihn durch den Elfenstaub unsichtbar gemacht hatte war seit einer Stunde vorbei. Knollennase war immer noch nicht wieder aufgetaucht und der Wichtel befürchtete bereits das Schlimmste.

Plötzlich riss ihn lautes Eselsgeschrei aus seinen Gedanken. Er stürmte aus dem Haus und musste laut lachen als der dort Knollennase antraf, der in der Hand zwei Esel hielt, die sehr widerspenstig zu sein schienen.

,,Oh sind die groß!“ rief der Wichtel aus.

Knollennase beruhigte ihn.

,,Nur mit der Ruhe! Das sind ganz freundliche und treue Tiere. Die besten Esel, die man hier im ganzen Umland bekommen kann. Das hat mir zumindestens Snorke hoch und heilig versprochen!“

,,Und was haben sie gekostet?“

Knollennase war nun ein wenig verlegen.

,,Snorke will dreißig Silberstücke. Er kommt heute Abend um das Geld abzuholen. Findest du den Preis zu hoch, Munkelpietz?“

,,Nein, der Preis scheint mir ganz in Ordnung,“ gab der Wichtel zur Antwort.

Knollennase band die beiden Esel an eine Eiche fest. Dann wandte er sich wieder an den Wichtel.

,,Und nun lass uns zu Mittag essen.“

Munkelpietz zuckte mit den Schultern.

,,Es tut mir leid, aber ich habe nichts gekocht!“

,,Das macht nichts, dann machen wir das nun gemeinsam.“

Sie gingen in die Hütte. Munkelpietz musste Kartoffeln schälen und Knollennase briet zwei saftige Fleischstücke, die er zuvor aus der kleinen Vorratskammer geholt hatte. Dazu gab es Löwenzahnsalat. Nach dem Essen legte sich Knollennase ein wenig hin und Munkelpietz mühte sich unterdessen mit dem Abwasch ab. Sie hatten verabredet, dass sie am Abend mit den Vorbereitungen für ihre Reise nach Tamarkant beginnen wollten. Knollennase hatte noch nicht mal eine halbe Stunde geruht, da wurde er wieder geweckt.

,,Iiiaaaah, Iiiiaaaahh!“

Immer wieder drangen die Schreie der Esel an sein Ohr und er war gezwungen seinen Schlaf abzubrechen. Leicht verstimmt erschien er in der kleinen Küche, wo Eugen Balduin Munkelpietz gerade mit dem Abwasch fertig geworden war.

,,Iiiaaah, Iiiaaah!“

,,Oh, was schreien diese grauen Viecher nur so schrecklich?“

Missmutig sah Knollennase den Wichtel an.

,,Das soll wohl soviel wie Hunger heißen, mischte sich Eugen Balduin Munkelpietz ein. Die beiden scheinen Hunger zu haben.“

,,Iiiaaaah, Iiaaahh!“

,,Na dann sollen sie doch Gras fressen!“

„Aber sie sind Hafer gewöhnt,“ sagte der Wichtel.

Immer wieder schrieen die Esel auf. Und schließlich gab Knollennase es auf. Er ging in sein Zimmer und kehrte kurze Zeit später zurück.

,,So ich gehe jetzt in die Stadt und kaufe Hafer. Sonst werden die zwei doch nicht Ruhe geben.“

,,Das ist eine gute Idee. Ich werde dich begleiten!“

Also machten sich Knollennase und Munkelpietz auf den Weg in die Stadt um Hafer zu besorgen. Es wurde schon Abend, als sie mit einem kleinen Handkarren, der vollbeladen mit Hafersäcken war zurückkehrten. Von der schweren Arbeit geschafft warfen sie sich ins Gras.

,,Iiiaaah, Iiaaah!“

Die Esel schrieen wieder nach Futter. Knollennase hatte nun genug und hielt sich die Ohren zu. Schließlich erhob sich Eugen Balduin Munkelpietz und machte sich daran die beiden grauen Schreihälse zu füttern. Nun wurde es ruhig.

,,Endlich! Knollennase seufzte. Ich dachte das nimmt gar kein Ende mehr.“

Die Esel fraßen und fraßen.

Kurz darauf kam Snorke vorbei um sein Geld abzuholen. Er stand da in seinem blauen Fischerhemd und rauchte Pfeife.

,, Na, kommt ihr klar mit euren neuen Freunden?“

Knollennase und Munkelpietz schwiegen.

Munkelpietz ging um das Geld aus seinem Rucksack zu holen.

,,Ach Snorke, sagte Knollennase zu dem Fischer, ich muss dir schon sagen, deine Esel sind zwei wahre Nervensägen. Dieses Geschrei das sie ständig machen ist ja kaum auszuhalten. Wir mussten sogar Hafer für sie kaufen, damit sie endlich Ruhe geben.“

,,Ja, ja. Esel sind schon schwierige Geschöpfe Gottes,“ antwortete Snorke.

Dann erschien Wichtel Munkelpietz wieder und in der Hand hielt er einen kleinen Stoffbeutel. Er reichte ihn Snorke.

,,Hier ist dein Geld. Ich habe es zweimal nachgezählt, es sind genau dreißig Silberstücke!“

Snorke nahm das Geld und bedankte sich.

,,Na dann macht’s gut, sagte er zum Abschied. Und ich wünsche euch noch eine gute Reise.“

Er ging. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und am Himmelszelt zeigten sich einige Sterne. Munkelpietz war noch einmal hinaus gegangen um nach den Eseln zu schauen. Die standen seelenruhig unter ihrem Eichenbaum, dort wo Knollennase sie festgebunden hatte und schienen mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Der Wichtel streichelte ihre grauen Flanken und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dann ging er wieder in die Hütte. Knollennase hatte inzwischen ein paar Brote gemacht, die beiden schweigend aßen. Als sie fertig gegessen hatten, gähnte Knollennase herzhaft.

,,Lass uns jetzt schlafen gehen, damit wir morgen gut ausgeschlafen sind!“

Das taten die beiden dann auch und sie schliefen in dieser Nacht ausgezeichnet.
Am nächsten Tag machten sich die beiden an ihre Reisevorbereitungen. Es gab wirklich eine Menge zu erledigen. Knollennase ging in die Stadt um Lebensmittel, die für die Reise benötigt wurden einzukaufen. Auch ein neues Paar Wanderstiefel musste er sich unbedingt zulegen. Munkelpietz suchte einige Gerätschaften zusammen, die man auf der langen Reise gebrauchen konnte. Schaufel, Spaten, Pickhacke wurden zusammengesucht. Einige Seile, Laternen und auch ein kleiner Kochtopf. Nachdem Knollennase aus der Stadt zurückgekehrt war machten sie sich gemeinsam daran noch einige Kleidungsstücke auszubessern. Am Nachmittag fütterte Knollennase die beiden
Esel noch einmal ausgiebig und vergaß auch nicht ihnen einen großen Wassereimer hinzustellen. Seit sie ihren Hafer bekamen waren sie weitestgehend ruhig gewesen.

Nachdem alle Arbeit getan war gingen Knollennase und Eugen Balduin Munkelpietz zum Angeln.

,,Angeln beruhigt die Nerven,“ sagte Knollennase als sie auf einer alten Hafenmole saßen und ihre Angelruten ausgeworfen hatten.

Zwei Stunden blieben sie, aber kein Fisch wollte anbeißen. Also kehrten sie ein wenig enttäuscht zur Zwergenhütte zurück.

,,Ein schlechter Tag, ein sehr schlechter Tag heute,“ knurrte Knollennase immer wieder.

Dann wurde es wieder Abend. Der Himmel zog sich zusammen und es begann zu regnen. Munkelpietz und Knollennase hatten gerade das Abendbrot beendet da hörten sie es wieder.

,,Iiaaahh, Iiaaah!“

,, Nicht schon wieder! Knollennase sah den Wichtel verzweifelt an. Die Viecher können doch nicht schon wieder Hunger haben.“

,,Iiaaah, Iiiaaaah!“

Munkelpietz ging hinaus um nach den Eseln zu sehen. Bald schon stand er wieder vor Knollennase, er war völlig durchnässt.

,,Du Knollennase, sagte er. Wir werden die Esel in irgendeinen Unterstand schaffen müssen. Sie stehen da draußen im strömenden Regen. Kein Wunder dass sie sich die Kehle aus dem Hals schreien.“

Knollennase reagierte mürrisch.

,,Unterstand, ich höre immer Unterstand. Dann kann ich sie ja gleich zu uns in die Hütte holen!“

,,Das wollte ich eigentlich damit sagen!“

Und so kam es, dass kurze Zeit später zwei graue, klitschenasse Esel in der Stube des Zwerges standen, Munkelpietz hatte sich ihrer angenommen und rieb sie mit einem Handtuch trocken.

,,Für eine Nacht wird es schon gehen,“ beruhigte er den Zwerg.
Knollennase brummte etwas, das nicht sehr freundlich klang und ging dann zu Bett.

,, Oh, ist der sauer!“

Die Esel waren inzwischen trockengerieben und der Wichtel legte sich auch hin um sich ein wenig Schlaf zu gönnen.

Am nächsten Morgen regnete es immer noch. Dicke Tropfen fielen aus dem wolkenverhangenen Himmel. Missgelaunt sah Knollennase aus dem Fenster seiner kleinen Küche. Die Esel standen immer noch in seiner Stube und fraßen gierig ihren Hafer. Eigentlich sollte heute die Reise nach Tamarkant beginnen, aber bei diesem Wetter konnte man ja keinen Hund vor die Tür schicken. Munkelpietz, der Wichtel hatte seinen gepackten Rucksack auf den Küchentisch gestellt, Aber das Wetter wurde und wurde nicht besser. Gegen Mittag sagte Knollennase:

,,Heute hat es keinen Zweck mehr. Ich würde sagen wir warten bis morgen früh!“

Munkelpietz war der selben Meinung. Also verbrachten sie diesen Tag damit einmal richtig faul zu sein. Munkelpietz hatte noch einige Gedanken in seinem Kopf, die er zu Papier bringen wollte und so begann der damit einen Bericht über seine bisherige Reise zu verfassen. Knollennase las in einem alten Buch, welches zugegebenermaßen auch sein einzigstes war. So vergingen die Stunden. Als der Abend hereinbrach hörte der Regen auf. Die Esel wurden nochmals gefüttert und dann gingen Knollennase und Munkelpietz wieder zu Bett.
Am nächsten Tag erwachten sie in aller Frühe. Es war Sonntag und aus der Ferne vernahmen Munkelpietz und Knollennase Glockengeläut.

,,Aha, der Pfarrer bittet zur Messe,“ sagte Knollennase.

Die Regenwolken hatten sich verzogen und der blaue Morgenhimmel versprach gutes Wetter. Nach dem Frühstück wurden die Esel mit allerlei Gepäck beladen. Seelenruhig ließen die Esel Munkelpietz und Knollennase gewähren. Dann war der Moment gekommen, die Zwergenhütte zu verlassen. Knollennase verschloss die Haustür und versteckte den Schlüssel unter einem Stein.

,,Los jetzt, sagte er und sah sich noch einmal um. Lass uns aufbrechen, bevor ich es mir noch einmal anders überlege.“

Beide mussten lauthals lachen, als sie sich ansahen.

,,Auf in ein neues Abenteuer,“ rief Eugen Balduin Munkelpietz und warf seine rote Zipfelmütze hoch in die Luft.

Sie zogen mit den Eseln durch die Stadt. Ein ganzer Pulk von begeisterten Kindern folgte ihnen. So ein lustiges Schauspiel hatte man hier schon recht lange nicht mehr gesehen. Als sie durch die Geschäftsstraße gingen und an der Bäckerei von Meister Dornbeitel vorbeikamen, entdeckte Munkelpietz den Bäckermeister auf dem Bürgersteig stehen und in seiner Begleitung waren seine Tochter Käthe und die drei Waisenkinder Lena, Martin und Johannes.

Munkelpietz winkte ihnen zu und die fünf winkten zurück.

,,Wer waren denn die?“ wollte Knollennase wissen.

,,Ach das ist eine lange Geschichte,“ antwortete der Wichtel.

Nach einiger Zeit hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und grünes, fruchtbares Land erstreckte sich vor ihnen. Die beiden Esel, die sie an einer Zugleine befestigt hatten, hielten sich prächtig und trugen das schwere Gepäck ohne Murren. Kilometer um Kilometer kamen Zwerg und Wichtel gut voran. Am frühen Nachmittag machten sie eine ausgiebige Rast auf einer grünen Wiese und aßen ein paar Butterbrote. Die Esel zupfen an den grünen Grashalmen und es schien ihnen zu munden. Knollennase stieß den Wichtel an.

,,Schau nur, sie können auch Gras fressen!“

Dann mussten beide wieder lachen.

,,Weißt du was, sagte Munkelpietz plötzlich. Wir haben den Eseln noch gar keine Namen gegeben!“

Die Esel kamen näher und plötzlich schrie einer der beiden auf.

,,Iiaah, das braucht ihr auch gar nicht! Ich heiße Topper und mein Bruder heißt Schnellläufer.“

Munkelpietz hatte den Esel verstanden, aber Knollennase scheinbar nicht.

,,Ich finde wir sollten den großen Grauhuf nennen und den kleinen . . . eh.“

Munkelpietz schüttelte den Kopf und sah Knollennase streng an.

,,Aber Knollennase, hast du die Sprache der Tiere denn verlernt? Der große Esel hat doch vorhin seinen Namen genannt. Er heißt Topper und der kleinere Esel heißt Schnellläufer! Hast du sie denn etwa nicht verstanden?“

Nun musste Knollennase wohl oder übel zugeben, dass er schon lang nicht mehr mit den Tieren gesprochen hatte und dass er diese Kunst wohl ein wenig verlernt hatte.

,,Aber ich werde es mir wieder aneignen,“ versprach er mit hochrotem Kopf.

Dann packten sie zusammen und zogen weiter. Gegen Abend bogen sie nach Osten ab. Hier wurde die Landschaft öde und steinig. Sie gingen noch eine Stunde und beschlossen dann ihr Nachtlager aufzuschlagen. Die Esel wurden von ihrem Gepäck befreit und Knollennase gab ihnen etwas Hafer. Munkelpietz entfachte ein Lagerfeuer und kochte das Abendessen.

,,Wie weit sind wir heute wohl vorangekommen,“ fragte Munkelpietz.

,,Ich schätze so an die vierzig Kilometer!“ gab ihm Knollennase zur Antwort.

Dann holte er eine Mundharmonika aus seinem Rucksack und spielte eine traurige, aber wunderschöne Melodie.

,,Ich wusste gar nicht dass du Mundharmonika spielst,“ sagte der Wichtel als Knollennase das Lied zu Ende gespielt hatte.

,,Ach, du weißt so vieles nicht!“

Schweigend aßen sie dann zu Abend und Munkelpietz ging fort um noch ein wenig Holz für das Feuer zu suchen. Er ließ sich lange Zeit.
Knollennase spielte unterdessen wieder auf seiner Mundharmonika.
Die Nacht war nun vollends hereingebrochen. Zahlreiche Sterne waren zu bestaunen. Munkelpietz kehrte zurück und warf einige trockene Äste neben das Lagerfeuer. Er setzte sich neben Knollennase an das Feuer und blickte in den Sternenhimmel.

,,Ich glaube heute Nacht bleibt es trocken, sagte er dann ganz leise. Oder glaubst du, dass es wieder regnet!“

Der Zwerg schwieg.

,,Was meintest du eigentlich vorhin, als du sagtest, ich wüsste so vieles nicht?“

Knollennase räusperte sich.

,,Ach, es war nur ... , also ich glaube du siehst das Leben immer viel zu positiv. Du glaubst du müsstest nur ein paar Zwerge und Wichtel suchen, sie folgen dir dann in den Teufelswald und alles wird gut und so wie es früher einmal war. Aber täusch dich nicht, Eugen Balduin Munkelpietz! So einfach wird es nicht werden. Ich glaube nicht, dass du Emil und Raane Bartenbiel zur Rückkehr überreden kannst. Falls wir sie überhaupt noch finden!“

Nun wusste Munkelpietz nicht, was er sagen sollte. Aber er wurde sehr traurig. Knollennase glaubte also, dass die ganze Reise sinnlos sei.

,,Aber warum begleitest du mich denn trotzdem, wenn du glaubst, daß ich keinen Erfolg haben werde!“

Knollennase fuhr sich mit der Hand durch den grauen Bart.

,,Warum? Genau weiß ich das auch nicht. Aber ich schätze deshalb, weil du so bist wie ich, deshalb weil ich dich brauche, deshalb weil ich nicht mehr länger allein sein will.“

Munkelpietz gab sich mit dieser Antwort zufrieden.

,,Ich brauche dich auch Knollennase, sagte er und ich bin sehr froh, dass ich dich gefunden habe!“

Er rückte näher an den Zwerg heran und gemeinsam sahen sie die funkelnden Sterne an.

,,Ich glaube trotzdem, dass wir Erfolg haben werden,“ sagte Munkelpietz und gähnte.

Und dann kuschelte er sich in seine warme Decke.

,,Gute Nacht Knollennase!“

,,Gute Nacht Munkelpietz!“






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