Geschichten vom Mordkuhlenberg

Geschichten vom Mordkuhlenberg

Aus dem Westen waren sie gekommen, fünf wilde Kerle mit Schwertern und Bögen bewaffnet. Mitten in den Dammer Bergen hatten sie sich eine neue Zuflucht gesucht, nicht weit von dem Fahrweg von Damme nach Steinfeld entfernt. Dort erhebt sich ein eigenartiger, finsterer Berg. An seinem Abhang führte in dieser alter Zeit der Weg nach Dalinghausen durch eine lehmige Schlucht, in deren Nähe auch eine kleine Quelle entsprang.

In diesem Berg entstand nun bald eine große, geräumige Räuberhöhle, deren Spuren man auch heute noch erkennen kann, wenn man sich ein klein wenig Mühe gibt. Hier hausten nun die fünf wilden Burschen, vier üble Räuber und ein noch üblerer Räuberhauptmann. Sie nahmen sich alles, was nicht niet- und nagelfest war und wurden bald zu einer richtigen Plage für die umliegenden Bauerschaften und die angrenzenden Dörfer.

Auch hatten die Räuber von ihrer Höhle aus dünne Zwirnfäden durch die Schlucht gespannt, und wenn Reisende des Weges zogen und die Zwirnfäden berührten, so erklangen kleine Silberglöckchen, die an den feinen Enden befestigt waren. Dann sprangen die Räuber eiligst aus ihrem Versteck heraus, schleppten die Reisenden in ihre dunkle Höhle, beraubten und töteten sie, oder boten sie für viele Golddukaten zum Austausch feil.

Eines Tages kam nun ein junges Mädchen des Weges gegangen, eine Magd, die ihre neue Dienststelle auf dem nahen Niehaus Hof antreten sollte. Sie war erst fünfzehn Jahre alt und schon den ganzen Pickerweg über Visbek, Vechta, Lohne und Steinfeld abgelaufen und nun beinahe am Ziel ihrer Reise. Da wurde auch sie gefangengenommen und in die dunkle Räuberhöhle gezerrt. In ihrer großen Angst bat sie den Räuberhauptmann: „So laßt mich nur leben und ich will euch den Haushalt führen und auch sonst alles zu Gefallen tun.

Da berieten die Räuber sich kurz und willigten ein. Die junge Magd gewöhnte sich bald an ihre neue Aufgabe und Herberge und führte von nun an den Räuberhaushalt. Nach einem Jahr gebar sie ein Kind, eine Tochter. Die Räuber waren sich nicht sicher, was sie mit dem Neugeborenen machen sollten, aber da es ein Mädchen war ließen sie es am leben und pflegten und hegten es sehr.

Im nächsten Jahr bekam die junge Magd wieder ein Kind, diesmal war es ein Junge. „Wir müssen den Knaben töten, noch ein Fresser am Tisch, das geht einfach nicht!“ Die Räuber taten es kund und ließen sich nicht mehr umstimmen. Da flehte die Magd, sie wolle es selber tun und ihrem Neugeboren, das Leben nehmen. Im nahen finsteren Wald würde sie ihn erstechen und dann alsgleich in der schwarzen Erde verscharen. „So soll es sein“, bestimmte letztendlich der Räuberhauptmann. „Aber bringe uns als Zeichen, das Herz des Kindes zurück, damit wir wissen das du ihn wirklich getötet hast!“

Mit dem in ein Bündel Lumpen gewickelten Neugeborenen ging die Mutter nun in den nahen Wald und kam alsbald an die nahe Quelle. Hier wollte sie es tun! Sie stellte das  Bündel auf einem großen Stein ab, weinte bitterlich und begann zu beten in ihrer Not. Da stand auf einmal ein Rehkitz ganz nahe bei ihr, kaum eine Woche alt. Behutsam lockte die Magd es an, fing es ein und tötete das Rehkitz anstatt ihres Sohnes. Alsbald kärte sie zu den Räubern zurück und brachte ihnen ein noch warmes Herz, welches sie zuvor aus dem Leib des Kitzes geschnitten hatte. Ihren Sohn hatte sie aber in dem Bündel Lumpen an der Quelle zurückgelassen, in der Hoffnung das sich ein guter Mensch ihm annehmen würde.

Die grausamen Räuber hängten das Herz in einer alten Eiche an einen schweren Ast und sangen dazu: „Knipperdoehnken, Knipperdoehnken, wat danzt dat Hart vom jungen Soehnken!“

Nachdem die Magd sieben Jahre in der Räuberhöhle gelebt hatte, überkam sie eine große Sehnsucht, andere Menschen zu sehen und zur Kirche zu gehen. Sie trug wieder ein Kind unter ihrem Herzen und ihr Bauch wölbte sich schon ein wenig. Inzwischen hatte sie zwei weiteren Töchtern das Leben geschenkt, die die Räuber am Leben gelassen hatten.

Zwei neugeborene Söhne, aber hatte sie auf Geheiß der Räuber auch töten müssen. Und zweimal hatte das Schicksal es gut mit ihr gemeint, denn eimal hatte ein junges Wildschwein in der Nahe der Quelle sein Leben und sein Herz opfern müssen, das andere Mal war es ein Wolfjunges gewesen. Beide Male hatte die Magd das Herz der Tiere herausgeschnitten und es anstatt der Herzen ihrer Kinder an die Räuber weitergegeben. Die hatten auch diese Herzen in die alte Eiche gehängt und sangen wieder dazu: „Knipperdoehnken, Knipperdoehnken, wat danzt dat Hart vom jungen Soehnken!“

Immer wieder bat die Magd den Räuberhauptmann, er möge sie doch einmal in das nahe Damme  zur Beichte lassen, sie trüge an Schuld so schwer. „Ich will auch keinem Menschen verraten, wo ich gewesen bin", versprach sie. „Und ich komme beim Leben meiner Töchter auch ganz gewiß wieder zurück." Schließlich gab der Räuberhauptmann ihrem Drängen nach und ließ sie zum Ostergottesdienst nach Damme gehen. Zuvor aber mußte sie einen Eid schwören, daß sie Wort halten werde und mit keiner Menschen Seele sprechen werde.

Als die Kirche aus war und die Leute nach Hause gingen, überlegte sie, wie sie die Blicke auf sich lenken könne, ohne ihren Schwur zu brechen. Sie stellte sich an die Kirchenmauer und erzählte ihr so laut, daß alle Vorrübergehenden es hören mußten, ihre ganze Leidensgeschichte. Zum Schluß sagte sie.

„Kirchenmauer, dir klage ich, ich heiße Maria Wieferich. Ich streue nun Erbsen auf meinen Weg, bis dahin, wo ich mich bald schlafen leg.

Darauf kaufte sie sich auf dem Markt einen kleinen Beutel voller Erbsen und wanderte mutigen Schrittes zu den Räubern zurück. Unterwegs streute sie fortgesetzt einige Erbsen aus, damit man ihre Spur verfolgen könne. Inzwischen erzählten die Kirchgänger in Damme ihrem Pastoren, was für seltsame Kunde sie an der Kirchenmauer vernommen hatten. Der Pastor schickte sogleich den alten Küster zum Bischof nach Osnabrück, um diesem Bescheid zu geben, und dieser ließ seine besten Soldaten aufbieten.

Nachdem die Soldaten die Dammer Berge umstellt hatten, rückten sie immer dichter zusammen. Die Räuber konnten nun nicht mehr entwischen, nach heftigem Kampf wurden sie gefangengenommen und nach Osnabrück geführt. Hier wurden sie nach kurzem Prozeß an den Galgen gebracht und baumelten bald im Winde, so wie sie einst mit den vermeintlichen Herzen ihrer kleinen Söhnen umgesprungen waren.

Der Bischof ließ die Räuberhöhle, in der man unermeßliche Schätze fand, zerstören und brannte weite Teile der Dammer Berge ab, damit kein neues Versteck für Wegelagerer entstehen konnte. Den Berg über der Räuberhöhle nannte man später den Mordenersberg oder Mordkuhlenberg. Dort ist es auch heute bei Nacht nicht ganz geheuer, die Geister Räuber gehen hier um, sagt man und erschrecken späte Wanderer mit mancherlei Lärm.

Die junge Magd, aber fand alsbald einen gutmütigen und freundlichen Bauern, dem vor kurzen die Frau und Mutter seines einzigen Sohnes verstorben war. Er nahm sich der Magd und ihrer drei  Töchter an. Und wurde ihnen ein guter Vater und Ehemann.

Die drei Söhne, die die Magd an der Quelle zurückgelassen hatte, waren von guten Menschen gefunden aufgenommen, und wie eigene Kinder aufgezogen worden. Sie lebten zwar in alle Winde verstreut, waren aber glücklich und zufrieden. Der Quelle werden heute heilende Kräfte nachgesagt und manchmal wenn man ganz entspannt und intensiv zuhört kann man das Lachen eines Kindes, in den Wellen des plätschernden Wasser hören.

Originalverfasser: Hermann Lübbing

© neu aufgeschrieben und umgeschrieben von Hansjürgen Katzer, August 2015






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