Es war
Es war

Es war ein nebeliger Novembermorgen, als wir damals zum Flughafen nach Düsseldorf fuhren. Meine Tochter und ich gemeinsam auf dem Jakobsweg. Würde das gutgehen?

Wir beide hatten uns nie wirklich gut verstanden und nach der Scheidung von meiner Frau, ihrer Mutter vor mehr als acht Jahren, hatten wir uns fast gänzlich aus den Augen verloren. Umso mehr war ich überrascht, als sie plötzlich vor meiner Tür stand.

Sie sagte nur, sie bräuchte mich jetzt, hätte Job und Wohnung verloren und sich von Marco, ihrem Freund getrennt.

Nun ja, ich ließ mich auf sie ein. Eine zweite Chance, ein Neuanfang, Vatergefühle! Als ich ihr offerierte, dass ich in zwei Wochen meinen nächsten Jakobsweg in Spanien antreten würde, war sie Feuer und Flamme und wollte mich unbedingt begleiten.

Also standen wir vierzehn Tage später an einem diesigen Mittwoch im November am Flughafen und flogen kurze Zeit später mit einer Iberia – Maschine nach Hondarribia, einem Flughafen in der Nähe des nordspanischen Irún. Es war ein angenehmer Flug von knapp fünf Stunden mit einer kurzen Zwischenlandung in Madrid. Mit dem Taxi fuhren wir den kurzen Weg zur städtischen Pilgerherberge am  Plaza Mercado, unserem Startpunkt einer gemeinsamen Reise.

Am nächsten Morgen ging es nach einer kleinen Feier, mit reichlich Tapas und etwas Vino rojo in aller Hergottsfrühe los. Meine Tochter hatte bald schon schwer an ihrem Rucksack zu tragen. Insgesamt acht Kilo Gepäck waren nicht viel, konnten aber für eine ungeübte Wanderin schnell zur Belastung werden. Ich war bereits zweimal auf dem Camino Norte, dem Küstenweg gewandert und kannte mich so halbwegs aus.

Dieser erste Tag würde gleich einer der schwersten werden. Gegen zehn Uhr setzte kalter Nieselregen ein und wir hüllten uns bald in unsere Regenponchos ein. Meine Tochter in einen knallroten, ich in ein dunkelblaues Exemplar.

Nordspanien im November, das sind Temperaturen von acht bis maximal fünfzehn Grad und häufige, langanhaltende Regenschauer. Manchmal verliert man sich auf dem Weg im dichten Nebel, der vom Meer her aufzieht und kann dann schnell an der endlosen Stille verzweifeln.

Wir unterließen es daher den steilen Weg über den Berg Jaizkibel zu nehmen. Trotzdem waren wir irgendwann ziemlich fertig und müde. In Pasaia, einem hübschen Dorf mit vielen baskischen Fahnen an den Häusern, setzen wir mit einem kleinen Fährboot in den anderen Teil des Dorfes über, aßen dort zwei leckere Empanadas und gelangten kurze Zeit später über eine lange, steile auf ein Plateau. Der Großteil des heutigen Tages war nun geschafft. Eineinhalb Stunden später erreichten wir völlig durchnässt, aber glücklich unser erstes Etappenzeil, die Herberge der zwölf Stämme in Ulia.

Hier schrieb man Gastfreundschaft schon immer groß und wir wurden sogleich in einen hellen Raum mit einem Kamin geführt, wo wir uns an dessen wärmendem Feuer aufwärmen konnten. Meine Tochter und ich erhielten kurz darauf jeweils eine Tasse heißen, wohlschmeckenden Tees und einen Teller duftender Ingwerplätzchen. Wir führten ein langes, intensives Gespräch. So ähnlich waren wir doch in unseren Gesten und Gedanken und hatten es doch nie geschafft in einen familiären Dialog zu treten, der über einen rein informellen Dialog hinausging.

Unser Vater-Tochter-Verhältnis wurde im Laufe der nächsten Tagen schnell intensiver und innerlicher. San Sebastian und Getaria wurden von uns beiden mit wachen Pilgeraugen und reichlich Interesse für Kultur und Geschichte entdeckt. Und in der Alberge in Deba erzählte mir meine Tochter unter Tränen, wie sie sehr sie damals unter unserer Scheidung gelitten und mich mehr als einen Tag sehr vermisst hätte.

Uber Markina nach Guernica und Bilbao kamen wir in mühevollen, aber inspirierenden Fußmärschen weiter bis nach Santander. Und in diesen Wochen unserer gemeinsamen Wanderung öffneten sich unsere Seelen und wir fanden ein Verständnis füreinander, das uns bis dato durchweg unbekannt war.

Spannende Gespräche entwickelten sich, neue Perspektiven zeigten sich auf. Der Austausch mit den wenigen aber durchweg herzlichen anderen Pilgerinnen und Pilgern tat uns gut, eine atemberaubende Landschaft, der erste Schnee in den Bergen und die Weite der einsamen, menschenleeren Strände taten ein übriges. Wir tauchten tief ein in die Idylle der Natur und fanden gemeinsam ein inneres Gleichgewicht wieder, das uns beiden vorher völlig fremd schien.

Bis Gijon ging unsere Reise, dann wurde unser gemeinsamer Weg abrupt beendet, weil meine Tochter einen Anruf meiner Exfrau, ihrer Mutter erhielt. Sie sollte nach Hause kommen, da die Mutter meiner Exfrau plötzlich verstorben war.

Meine Tocher und ich konnten uns kaum richtig voneinander verabschieden. Ich winkte ihr zu als sie mit dem Bus zum Flughafen nach La Coruña fuhr. Es war mein letzter gemeinsamer Urlaub mit meiner Tochter gewesen.

Nachtrag

Ein halbes Jahr später starb sie bei einem Verkehrsunfall und ja ich vermisse sie sehr.

Heute bin ich wieder Vater, habe meine Frau auf einer Pilgerreise auf der Via Plata kennen- und lieben gelernt. Maggy, eine herzenfrohe, rothaarige Irin aus der Nähe von Dublin. Sie hat mir Zwillinge geschenkt, zwei Töchter. Ich werde ihnen ein besserer Vater sein…

(c) Hansjürgen Katzer, Oktober 2019


   








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