Neue Freunde ...


5.

 

Die Herberge San Nicolas ist eine der freundlichsten auf dem Camino del Norte. Zwar gibt es nur einen Schlafssaal, dafür sind aber die sanitären Anlagen wirklich in Ordnung. Zudem ist die Herbergsmutter wirklich bemüht alle Wünsche zu erfüllen. Auch das „Menú del Peregrino“, das spezielle Pilgermenü mit drei Gängen, wird hier zumeist sehr liebevoll und für kleinen Geldbeutel zubereitet. Dabei handelt es sich sozusagen um Gerichte der Hausmannskost, die jedoch gerade deshalb oft einen besonderen kulinarischen Genuss bereiten. Die Zeit des Abendessens beginnt in Spanien, wie in ganz Südeuropa, spät. Erst ab zwanzig Uhr ist im Allgemeinen damit zu rechnen, dass das Abendessen serviert wird.

 

Nachdem ich eingecheckt und mir den Pilgerstempel hatte geben lassen, befand ich das es Zeit sei nun ein Bierchen zu trinken. Prima, das sich vor dem Eingang unserer Herberge ein gutgefüllter Getränkeautomat befand. Schnell hatte ich das nötige Kleingeld herausgekramt und für jeweils einen Euro, zwei herrlich, kühle Dosen San Miquel erstanden, die ich mir nun munden ließ. Ich war nicht der einzige deutschsprachige Pilger in dieser Herberge. Karin-Maria kam aus der Nähe von Homburg, sprach als gebürtige Saarländerin fließend französisch, war beruflich in der Versicherungsbranche tätig und hatte einen beachtlich kleinen Rucksack, von gerade einmal sechseinhalb Kilo, mit gefüllter Trinkflasche vorzuweisen. Da kam bei mir schon ein wenig Neid auf. Roswitha war eine stämmige Pilgerin, Ende dreißig, die es sich trotz ihreres Übergewichtes und schwerer Diabetes und mit einer Insulinpumpe versehen, nicht nehmen ließ ihre eigenen Caminoerfahrungen zu sammeln. Dies hier war bereits ihre fünfte Reise auf den Wegen Spaniens. Auch die ältere Frau, die mich heute morgen in der Nähe von Igeldo überholte, hatte hier ihr Nachtquartier aufgeschlagen. Sie kam aus der Schweiz, hieß Johanna Kreuzer und war jetzt einundsiebzig Jahre alt. Ihr Mann war vor fünf Jahren nach langer Krankheit verstorben und sie hatte nach seinem Tod spontan beschlossen, ihrem Leben noch einmal eine neue Ausrichtung zu geben. Seither wandderte sie durch die Welt, war bereits auf dem Appalachian Trail, einem über dreitausendfünfhundert Kilometer langen Fernwanderweg in den Vereinigten Staaten unterwegs gewesen, hatte die Via Podiensis in Frankreich und den Olavsvegen in Norwegen bereist und die meisten größeren Fernwanderwege in Spanien. Jeder hatte hier seine kleine, spannende, faszinierende Geschichte aufzuweisen, immer wieder loszugehen und einen Fuß vor den anderen setzen, darauf kam es an.

 

Auch Günter traf gegen sechzehn Uhr dreißig in der Herberge ein. Ich begrüßte ihn freundlich, hatte inzwischen geduscht, Klamotten gewaschen und mir noch zwei Bier gekauft. Ich liebe spanisches Bier! Eine der Dosen reichte ich gleich an Günter weiter. „Hier willste?“ Er nahm sie dankend an und wir stießen an. „Salute, Amigo!“

 

Roswitha und Karin-Maria brachen auf um noch eine kleine Shopping – Tour zu unternehmen. Frauen können immer shoppen, auch dies beiden. Günter wollte noch Wäsche waschen und sich frisch machen, aber dann würde er mich in den Ort begleiten. So zog es mich noch ein wenig in den Garten der Herberge, wo ein paar Ziegen als vierbeinige Rasenmäher eingesetzt wurden. Von hier aus hatte man einen herrlichen Ausblick auf den Fluss und die nahe Eisenbahnlinie.

 

Am frühen Abend gingen Günter und ich dann auch hinunter nach Orio, einem alten Fischerdorf mit knapp sechstausend Einwohnern und bekannt für seine große Rudertradition. Wir wollten uns nur ein wenig umsehen und vielleicht etwas Kühles trinken. Unterwegs trafen wir auf Roswitha und Karin-Maria, die auch noch Lust auf ein wenig Alkohol hatten. Bald saßen wir in einer gemütlichen Taberna in geselliger Runde und tranken Rotwein und Bier, auch Paul ein Franko-Kanadier gesellte sich gern zu uns an den Tisch.

 

Angeregt vom Alkohol redeten wir entspannt über die unterschiedlichsten Themen. Günter entpuppte sich als ein großer Witzeerzähler und Handyspezialist, was bei den beiden Damen besonders gut ankam. Beim Nachbestellen von Bier und Rotwein, fiel mir sofort eine junge, wunderschöne Frau mit kurzen, roten Haaren auf, die an einem Zweiertisch saß. An der Theke traf ich auch auf Franz, den holländischen Studenten aus Utrecht, dem ich schon einmal kurz vor Pasaia begegnet war. Ich wollte ihn zu uns an den Tisch einladen, aber er lehnte dankend ab, weil er bald weiter musste, da er heute Nacht in Zarautz übernachten wollte.

 

Auf dem Rückweg von der Theke, betrachte ich noch einmal die unbekannte Rothaarige. „Wow, was für eine Frau!“ Gegen zwanzig Uhr traten wir deutlich angeheitert fden Rückweg an. Wir hatten noch einen knackig, steilen Anstieg vor uns und ein Pilgermenue zu verspeisen, welches wir fünf, allesamt bei der freundlichen Herbergsmutter bestellt hatten. Die wartete bereits auf uns, ebenso Johanna aus der Schweiz.

 

Zuerst gab es wieder eine große Salatplatte, die schnell ihre Abnehmer fand, dann folgte gebratener Fisch und Pommes Frites, die sich zu unserem Erstaunen als wirklich knusprig erwiesen. Zum Nachtisch wurde uns „Arroz con leche“ kredenzt, ein spanischer Milchreis, den besonders die spanischen Kinder sehr gerne essen. Nachdem wir zu sechst auch noch die drei Flaschen Rotwein geleert hatten, die es für uns Pilger gratis zum Menue dazugab, hatte ich meine Bettschwere erreicht und grinste nur noch satt und zufrieden.

Kerstin hatte erneut eine WhatsApp - Nachricht geschickt und wünschte mir eine gute Nacht. Sie hatte es nun bis nach Roncesvalles geschafft und war einfach fertig, mit sich und der Welt. Mir hingegen ging es hervorragend.
Hätte ich nicht bereits vor gut fünfzehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört, so wäre das jetzt der Zeitpunkt gewesen, sich eine Wohlfühlzigarette anzustecken, sich auf die alte Holzbank vor der Herberge zu setzen und auf den Fluss zu schauen und einfach nur mal fünf Minuten glücklich zu sein. Aber zumindestens das rauchen, ließ ich dann lieber doch sein. In dieser Nacht schlief ich endlich einmal gut und nichts und niemand konnte mich stören.

 

Am nächsten Morgen hatte ich einen ausgewachsenen Kater. Ich hatte kein Desayuno, also bestellt und würde mein Frühstück stattdessen in Orio, oder Zarautz einnehmen. Für den heutigen Tag hatte  sich wieder Regen angekündigt, aber bislang war es noch trocken geblieben. Gegen sieben Uhr dreißig hatte ich gepackt und brach auf. Zumindestens bis nach Zumaia  wollte ich heute kommen, eine zehntausend Einwohner große Stadt an der Mündung des Urola in den Golf von Biskaya. Schon nach ein paar Metern merkte ich das die Wanderstiefel, drückten, die ich heute Morgen angezogen hatte. Was war da los? Die verdammten Dinger hatte ich zuvor, drei lange Monate eingelaufen und nun drückten diese Mistdinger. Nachdem ich den Fluss in Orio überquert hatte, wechselte ich zurück auf die Halbschuhe. Aber nun drückten auch diese nach wenigen Metern. Wurde ich jetzt langsam meschugge? Hatte mir jemand in der Nacht andere Füße aufgeschraubt? Lag es am vielen Alkohol? Nichts ging mehr, ich fluchte vor mich hin und kam nicht weiter! Würde ich jetzt weiterlaufen, bestünde die große Gefahr mir Megablasen zu laufen, die mich für lange Zeit behindern würden. Als letzter Gedanke kam es mir in den Sinn, die Einlagen zu tauschen. Also nahm ich die Einlagen aus den Stiefeln und tauschte sie mit den Einlagen aus den Halbschuhen. Und tatsächlich es lief sich nun wesentlich besser, ich konnte wirklich langsam weitergehen.

 

Nach eineinhalb Stunden kam ich in Zarautz an, kaufte mir in einer Farmacia (Apotheke), eine gute Arnikasalbe, erstand später in einem kleinen Supermercado ein wenig Obst und Wasser, marschierte dann schwerbeladen an den Strand, setzte mich auf eine Bank an der Strandpromenade, zog Schuhe und Socken aus und cremte mir die Füße dick mit Arnikasalbe ein, die ich dann eine halbe Stunde einwirken ließ. Eine große Blase hatte ich mir unter dem Fußballen des rechten Fußes gelaufen, aber ansonsten hatte ich scheinbar noch einmal Gück gehabt.

 

Das Wetter war recht kühl, dennoch wagten sich ein paar Surfer in die Wellen. Ich massierte die letzten Reste der Salbe ein, schüttelte meine Socken ordentlich aus, zog sie wieder an und schlüpfte in meine Schuhe. Es musste weitergehen. Rasch aß ich noch einen Apfel, trank etwas Wasser und setzte bald wieder einen Fuß vor den anderen. Immer an der Küstenstraße entlang ging es nun bis nach Getaria. Hier wollte ich zumindest eine Kleinigkeit essen. Aber der Weg war lang und es wurde wieder schmerzhaft.

 

Kurz vor der kleinen Hafenstadt, setzte ich mich abermals auf eine Holzbank, cremte mir wiederum die Füße, diesmal mit Hirschhorntalg ein, betete anschließend in der nahen, alten Pfarrkirche aus dem zwölften Jahrhundert, drei Vater unser und zwei Gegrüßet seist du Maria für unseren Herrgott und zur Buße für meine zahlreichen Sünden und kehrte anschließend in einer Tapasbar ein und ließ mich gourmettechnisch, wahrlich meisterlich verwöhnen. Dazu ein halbes Fläschen Rioja und die Welt sah schon wieder ganz anders aus.

 

Gegen vierzehn Uhr brach ich wieder auf. Die Rechnung in der Tapasbar, hatte mir zwar ein, zwei Tränen in die Augen getrieben, aber letztendlich war es das wert gewesen. Außerdem hatte die lange Pause gut getan, die Füße schmerzten kaum noch und so zog ich das Tempo wieder etwas an um baldigst in Zumaia anzukommen. Unterwegs an einer alten Klosterkirche stieß ich auf Karin-Maria und Roswitha, die mich freudigst begrüßten.

 

Zu dritt ließ es sich wesentlich besser wandern. Das ein oder andere Wort der Unterhaltung machte schon etwas aus. Durch Weinberge, einen ersten Eukalyptuswald und küstennahes Hügelland, ging es über Schotterpisten weiter Richtung Zumaia. Hier wäre ich am liebsten in der Pension Santa Klara eingekehrt, aber meine beiden Begleiterinnen schworen mich auf die Sommerherberge im alten Kloster San José ein. Und so willigte ich ein, das Kloster zumindestens in Augenschein zu nehmen. Ein faszinierende Panorama von einer Anhöhe aus, auf die Küste und die Stadt Zumaia versetzten unsere müden Beinen noch einmal neue Kraft.

 

Das Kloster San José lag etwas versteckt, aber nach einer halben Stunde des Suchens hatten wir es dann dennoch gefunden. Ein herzliches Willkommen, des alten Hospitaleros, schöne, kleine Räumlichkeiten, großzügige Sanitäranlagen und ein beschaulicher Klostergarten überzeugten mich schnell hier zu bleiben für die Nacht und die Pension Santa Klara aus meinem Gedächtnis zu streichen. Wieder fiel nun die obligatorische Tagesarbeit eines Pilgers an. Duschen, Wäsche waschen und sich etwas zu Essen besorgen.

 

Als ich aus dem kleinen Seitentor der Klostermauer auf die Straße trat um ein Kleinigkeit einzukaufen, lief mir Günter fast in die Arme. Auch er hatte sich für diese Herberge entschieden und ich konnte ihm zu seiner Entscheidung nur gratulieren. Ich kaufte im kleinen Supermarkt an der Ecke Tomaten, Oliven, Käse und etwas Salami ein. Dazu eine gute, aber preiswerte Flasche Landwein und drei Dosen Mahou, eine weitere spanischen Biersorte. Wir hatten verabredet heute Abend gemeinsam zu essen und ein kleines Picknick im Klostergarten zu veranstalten. Jeder sollte etwas dazu beisteuern. Roswitha hatte Thunfisch und etwas Jamón Ibérico besorgt, einen delikaten spanischen Schinken, der wirklich lecker ist. Karin-Maria Weißbrot, Magdalenas und Flan, einen traditionellen spanischen Grießnachtisch, der im spanischen übrigends „Postre“ genannt wird eingekauft. Und auch Günter ging nachdem der geduscht hatte noch einmal los und kam bald mit weiterem Bier, Äpfeln und Orangen wieder.

 

Unser Abendpicknick war phänomenal, wir lachten viel, hatten reichlich Spaß luden noch einen französschen und einen spanischen Pilger zu uns an den reichgedeckten Tisch ein, Der Franzose steuerte eine Wassermelone zu unserem Gaumenschmaus bei und die Völlerei ging hemmungslos weiter. Später sangen wir und der Spanier spielte auf seiner alten Klampfe. Gegen zweiundzwanzig Uhr gab es noch eine kurze Abendandacht und dann gingen wir zu Bett. Schade nur, das ich wieder die Nacht wieder mit Günter in einer Kammer verbringen musste. Der alte Sachse ging zu Bett, schlief baldigst ein und sägte wieder die allergrößten Bäume durch. Ein feiner Kerl, aber sein Schnarchen war absolut unerträglich. Er schlief den Schlaf des Gerechten und ich lag bis vier Uhr morgens wach.


copyright by Hansjürgen Katzer, 2018 



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